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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Ranch, wo der alte Mann gerade den Ziegenpferch reparierte. Sie traten zu ihm und plauderten ein wenig über die Wachteln, dann sagte Dad: «Mr Watkins, können wir mal ins Haus gehen und miteinander reden, Sie und ich und Ihre Frau?» Und als Mr Watkins Ja sagte, drehte er sich zu Bunny um und sagte: «Entschuldige mich kurz, mein Sohn – schau mal, ob du nicht auch allein ’n paar Vögel vom Himmel holen kannst.»
    Bunny wusste genau, was das bedeutete – Dad dachte, dass es seinem Sohn lieber war, wenn er nicht Zeuge des chirurgischen Eingriffs wurde, bei dem der armen Familie Watkins ihre sechshundertvierzig Acre Felsgrund entfernt wurden.
    7
    Bunny wanderte den Arroyo hinauf und sah weit oben die Ziegen weiden. Er stieg hoch, um ihnen zuzuschauen, und so lernte er Ruth kennen.
    Sie saß auf einem großen Felsblock und ließ ihren Blick über den Kranz der Berge schweifen. Sie war barhäuptig und barfüßig, und man merkte, dass sie allmählich aus dem geflickten, verwaschenen Kattunkleid, ihrer einzigen Hülle, herauswuchs. Sie war ein dünnes Kind und wirkte trotz ihrer Bräune blass, einer blutleeren Bräune ohne viel Rot. Sie hatte die blauen Augen ihrer Familie und eine rundliche, gewölbte Stirn; das Haar trug sie streng nach hinten gekämmt und mit einem alten Band zusammengebunden. Sie saß da und hütete die Ziegen wie die Jungen und Mädchen vor zweitausend Jahren in Palästina; in dem einzigen Buch, das es im Hause Watkins gab, hatte sie davon gelesen. Sie wechselte sich mit ihren Schwestern ab und war alle drei Wochen an der Reihe, zehn bis zwölf Stunden täglich. Höchst selten kam jemand in ihre Nähe, und dass der fremde Junge hier hochkletterte, machte sie sehr verlegen; sie blickte nicht auf und flocht ihre Zehen ineinander.
    Doch Bunny wusste, welche Parole ihm Eingang in ihr Herz verschaffte. «Du bist Ruth, nicht wahr?», fragte er, und als sie nickte, sagte er: «Ich kenne Paul.»
    So wurden sie im Nu Freunde. «Oh, woher?» Sie schlug die Hände zusammen und blickte ihn fragend an.
    Bunny schilderte seinen Besuch bei Mrs Groarty – natürlich verlor er kein Wort übers Öl –, wie Paul gekommen und wie alles abgelaufen war. Sie sog jedes Wort auf und unterbrach ihn nicht; Ruth sprach nie viel, ihre Gefühle waren tief und warfen keine Blasen an der Oberfläche. Doch Bunny wusste, dass sie dieser Geschichte mit ganzem Herzen folgte; sie betete ihren Bruder geradezu an. «Und du hast ihn nie wieder gesehen?», flüsterte sie.
    «Eigentlich habe ich ihn überhaupt nicht gesehen», sagte Bunny; «wenn ich ihm jetzt begegnete, würde ich ihn nicht wiedererkennen. Du weißt nicht vielleicht, wo er ist?»
    «Ich hab drei Briefe gekriegt. Immer von einem anderen Ort, und immer schreibt er, er bleibt dort nicht. Eines Tages kommt er mich besuchen, sagt er, nur mich. Vor Pap hat er Angst.»
    «Was würde Pap denn tun?»
    «Er würd ihn verdreschen. Er sieht immer gleich rot bei ihm. Er sagt, er ist ein Kind der Hölle. Paul sagt, er glaubt nicht, was in der Bibel steht. Glaubst du’s?»
    Bunny zögerte, dachte an Dad und sein «Wahres Wort» und kam zu dem Schluss, dass er Ruth vertrauen konnte, deshalb gestand er, dass er wohl nicht alles glaube.
    Ruth blickte ihn tief besorgt an und fragte: «Aber woher kommen dann die Erdbeben?»
    Und so erzählte Bunny, was er bei Mr Eaton über die schrumpfende Erdkruste gelernt hatte und über die Verwerfungen in den Gesteinsschichten, die als erste dem Druck nachgaben. Er merkte an ihrem verwunderten Blick, dass dies der erste Hinweis auf naturwissenschaftliche Zusammenhänge war, der ihr zu Ohren kam.
    «Man braucht sich also nicht fürchten!», sagte sie. Und dann sah Bunny, dass ihr ein anderer Gedanke dämmerte. Ruth starrte ihn an, noch eindringlicher als vorher, und rief: «Ah! Du hast das Geld geschickt!»
    «Geld?», fragte er unschuldig.
    «Viermal ist ein Brief mit fünf Dollar drin angekommen, ohne was Geschriebenes. Pap hat gesagt, es war der Heilige Geist – aber das warst du! Stimmt’s?»
    So unversehens überführt, nickte Bunny schuldbewusst, und Ruth errötete und begann, einen verlegenen Dank zu stottern … sie wisse nicht, wie sie das jemals zurückzahlen sollten … sie steckten in großen Schwierigkeiten.
    Bunny unterbrach sie. Das sei alles Unsinn, Dad habe so viel Geld, dass er nicht wisse, wohin damit. Gerade jetzt biete Dad ihren Eltern an, die Ranch zu kaufen, die Hypothek zurückzuzahlen und die Familie für eine geringe

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