Öl!
stürmten Hunderte von weiß gekleideten Kindern auf die Bühne und riefen mit ihren frischen jungen Stimmen: «Gelobt sei Gott!» Natürlich gab es auch das übliche Sünderbänkchen und die Taufe im Marmorbecken. Keine Sekunde durfte man vergessen, dass man eine Seele hatte und diese für einen selbst und für Jesus von größter Wichtigkeit war und dass man sie mit Elis Hilfe erretten konnte. Ständig wurde man aufgefordert, etwas zu tun – sich im Namen des Herrn zu erheben, um der Erlösung willen zu klatschen oder die rechte Hand zu heben, wenn man ein Novize im Tempel war.
Doch Elis größter Vorzug gegenüber den anderen Propheten waren die beiden kräftigen Lungenflügel, die sich in den Bergen um Paradise ausgebildet hatten. Nirgendwo gab es eine Stimme, die derart anfeuern konnte und so lange durchhielt. Den ganzen Sonntag brüllte und donnerte sie, morgens, nachmittags und abends; werktags gab es außer am Samstag täglich einen Abendgottesdienst und vormittags und nachmittags Gebetsrunden, Bibelunterricht, Andachten mit Gesang, Heilungsrituale, Taufzeremonien, Dankesopfer, Massenhochzeiten und «Braut des Lammes»-Gelübde 108 – unmöglich, sich bei all dem auf dem Laufenden zu halten, zu viel passierte in den unzähligen Räumen und Versammlungssälen des eine halbe Million Dollar teuren Tempels.
Etwas Wunderbares war soeben erfunden worden: Die menschliche Stimme konnte millionenfach verstärkt und über die ganze Erde verbreitet werden. Die amerikanische Bevölkerung war versessen auf das Radio, und jedermann hatte sich eilends ein Gerät beschafft. In Angel City wurde diese Errungenschaft zum ersten Mal öffentlich und im großen Stil eingesetzt, als ein neues, drei Millionen teures Hotel für die Lustbarkeiten der Schwerreichen eröffnet wurde. Die Feierlichkeiten wurden im Radio übertragen, und alle Zeitungen waren voll von diesem Wunder; doch es erwies sich als etwas Furchtbares, denn alle Hotelgäste waren betrunken, und der Hoteldirektor stieß vor dem Mikrofon eine Fülle von Obszönitäten aus, die sich die Farmersfrauen in Iowa ihr Lebtag nicht hätten träumen lassen. Danach beschlich einen das Gefühl, dass die neue Erfindung einer Weihe und Lossprechung bedurfte, und so schickte Eli sich an, einen der größten und stärksten Rundfunksender einzurichten. Durch die Gnade des Herrn waren seine Worte nun auf vier Millionen Quadratmeilen zu hören, und vor einem Auditorium dieser Größe zu predigen war wirklich der Mühe wert, gelobt sei Jesus Christus.
Auf diese Weise wurden Elis Predigten zu einem festen Bestandteil des südkalifornischen Alltags. Man konnte ihm buchstäblich nicht entkommen, selbst wenn man wollte. Der Arzt hatte Dad mehr Bewegung empfohlen, und so gewöhnte er sich an, vor dem Dinner eine halbe Stunde spazieren zu gehen. Auf diesen Spaziergängen, so behauptete er, höre er immer Elis Predigten und versäume kein einziges Wort. Wegen dem warmen Frühlingswetter stünden nämlich alle Häuser weit offen, und man brauche weiter nix tun, wie sich eine Gegend aussuchen, wo nicht so wohlhabende Leute lebten – und das waren neunzig Prozent der Bevölkerung. Dann hörte man das vertraute Gebrüll, und noch ehe man außer Hörweite des einen Radios war, gelangte man schon vor ein anderes, und so wurde man weitergereicht von Straße zu Straße, von Viertel zu Viertel. In diesen Häusern saßen alte Ehepaare mit der Familienbibel in der Hand und Tränen der Verzückung in den Augen, oder vielleicht wusch eine Mutter gerade Kinderkleidung oder kochte Pudding für das Abendessen ihres Mannes – und in einem fort schwebte ihre Seele auf den Schwingen der Beredsamkeit dieses mächtigen Propheten empor in die himmlische Herrlichkeit! Und draußen spazierte Dad, nicht minder begeistert – denn schließlich, vergessen wir das nicht, war er der Mann, der diese Dritte Offenbarung ins Leben gerufen hatte. Er hatte sich das ganze Gelaber ausgedacht, an dem Tag, als er versuchte, den alten Abel Watkins daran zu hindern, seine Tochter Ruth zu verprügeln!
6
Bunny erhielt einen Brief von Dan Irving, in dem dieser von seiner neuen Arbeit berichtete. Heutzutage sei es sehr einfach, in Washington Korrespondent einer radikalen Presseagentur zu sein; die normalen Zeitungsleute steckten bis obenhin voll mit Informationen, die sie nicht verwenden dürften. Bis auf ein paar «Hartgesottene» kochten also alle vor Wut, und wenn sie mit Dan redeten, schöpfte er ab, was da überkochte. Das
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