Öland
Julia, was geschehen war.
Nicht Lennart war getroffen worden, sondern Ljunger. Jetzt
wusste Julia, welchen Fluchtweg er sich ausgedacht hatte.
Er lächelte nicht mehr geheimnisvoll und überheblich. Sein
Körper lag hinter dem Schreibtisch. Unter seinem Kopf hatte
sich eine Blutlache gebildet, die zunehmend größer wurde.
Das Blut glänzte im Licht der Lampe.
Ljunger starrte mit leicht geöffnetem Mund an die Decke.
Sein Blick war überrascht, als würde er es nicht fassen, dass
jetzt tatsächlich alles vorbei war.
Seine rechte Hand umklammerte Lennarts Dienstwaffe.
36
W ie geht es dir, Lennart?«, fragte Gerlof, der warm zugedeckt in seinem Krankenhausbett lag.
Lennart zuckte müde mit den Schultern.
»Es geht so. Ich hätte wachsamer sein müssen«, sagte er
und seufzte schwer. »Ich hätte sehen müssen, was er vorhatte.«
»Mach dir nicht zu viele Gedanken, Lennart«, versuchte Julia ihn von der anderen Bettkante aus zu trösten.
»Er hat mich reingelegt. Er hatte sich hingesetzt, und ich
war überzeugt, dass wir in Ruhe reden könnten. Aber dann
hat er sich auf mich gestürzt, ich fiel zu Boden, und er hat
meine Waffe aus dem Halfter gerissen. Darauf war ich nicht
gefasst.« Er seufzte und befühlte sein Pflaster auf der Stirn.
»Ich bin zu alt, reagiere zu langsam. Ich sollte mal …«
»Hör auf, Lennart«, unterbrach Julia ihn. »Ljunger hat dich
verletzt, nicht du ihn.«
Lennart nickte, wirkte aber nicht überzeugt.
Der erste Schuss, den Gunnar Ljunger abgefeuert hatte,
war lediglich in die Wand der Polizeiwache eingeschlagen.
Lennart war jedoch beim Kampf um die Waffe so schwer
gestürzt und gegen die Schreibtischplatte geprallt, dass die
Wunde mit mehreren Stichen genäht werden musste.
Jetzt saß Julia mit ihm im Krankenhaus von Borgholm,
wohin man Gerlof aus Kalmar überführt hatte. Es war späterNachmittag, und eine dunkelgelbe Herbstsonne senkte sich
zu einem herrlichen Sonnenuntergang über der Stadt.
Gerlof hoffte, dass sein Besuch nicht allzu lange bleiben würde, er wollte allein sein und schlafen. Er war noch
schwach und ans Bett gefesselt.
Zwar fühlte er sich wieder klar im Kopf, konnte sich an
die vergangenen Tage jedoch kaum erinnern. Vermutlich
hätte er das alles nicht überlebt, wenn man ihn nicht umgehend nach Kalmar auf die Intensivstation geflogen hätte.
Vier Tage später brachte ihn ein Rettungswagen nach Borgholm.
Dort war er viel ungestörter als in Kalmar und hatte sogar
ein eigenes Zimmer mit Aussicht auf den Schlosspark und
die Häuser Borgholms.
»Wir waren schon ein paar Mal hier, schön, dass du heute
wach bist, Papa«, sagte Julia sanft.
Gerlof nickte erschöpft.
Sein linker Arm war geschient und bandagiert, er hatte
ihn sich beim Sturz auf den Strand gebrochen. Auch ein Fuß
war eingegipst.
Gerlof versuchte sich aufzusetzen, um seinen Besuch besser sehen zu können. Julia sprang auf, um ihm ein zweites
Kissen in den Rücken zu legen.
»Danke.«
Seine Stimme war zwar noch schwach, aber er konnte sprechen.
»Wie geht es dir, Papa?«, fragte Julia.
Gerlof hob den Daumen. Er hustete, das Atmen fiel ihm
noch schwer.
»Anfangs haben alle befürchtet, ich hätte eine Lungenentzündung«, flüsterte er. »Aber heute früh haben sie mir mitgeteilt, es sei nur eine normale Bronchitis. Und sie haben mir
versprochen, dass ich beide Füße behalten kann.« Er hielt
kurz inne. »Das würde ich sehr begrüßen.«
»Sie sind ein harter Knochen, Gerlof«, sagte Lennart voller
Bewunderung.
Gerlof nickte.
»Gunnar Ljunger hat dasselbe gesagt.«
Plötzlich meldete sich Lennarts Pieper.
»Nicht schon wieder …«
Der Polizist seufzte genervt.
»Sieht aus, als würde mein Chef mit mir reden wollen. Die
Fragen nehmen kein Ende«, beklagte er sich. »Ich muss da
mal eben anrufen. Bin gleich zurück.«
Lennart und Julia lächelten sich an.
»Nicht weglaufen, Gerlof.«
Gerlof grinste, Lennart zog die Tür hinter sich zu.
Es wurde still im Zimmer, es gab im Moment einfach
nichts zu sagen. Julia legte ihre Hand auf Gerlofs Decke und
lehnte sich vor.
»Ich soll dich ganz lieb von der Familie und deinen Freunden grüßen«, richtete sie ihm aus. »Lena hat gestern Abend
aus Göteborg angerufen, sie wird bald herkommen. Und
Astrid wünscht dir gute Besserung. John und Gösta waren
gestern hier, aber als sie sahen, dass du schläfst, sind sie wieder gegangen. Du siehst, alle, die dich
Weitere Kostenlose Bücher