Öland
kennen, denken an
dich.«
»Danke.« Gerlof musste wieder husten. »Und wie geht es
dir?«, flüsterte er.
»Ach, mir geht es eigentlich ganz gut«, antwortete Julia
und schlug die Augen nieder. »Ich habe in den letzten Tagen
viel Zeit mit Lennart verbracht, oben in seinem Häuschen im
Wald. Obwohl er dauernd irgendwelche Berichte schreiben
musste oder in Borgholm war. Ich habe mir Sorgen um dich
gemacht.«
»Ich komme schon zurecht«, murmelte Gerlof.
»Ja, das weiß ich jetzt«, sagte Julia. »Und ich schaffe das
auch.«
Er musste erneut husten.
»Bist du denn stark genug?«
»Natürlich.« Julia lachte, obwohl sie nicht recht verstand,
worauf er hinauswollte. »Ich bin auf jeden Fall stärker, als ich
dachte.«
Gerlof flüsterte:
»Ich habe nachgedacht … Ich bin mir nicht ganz sicher,
aber ich glaube, ich weiß jetzt, was mit Jens passiert ist.«
»Weißt du es wirklich, Papa? Hat dir Ljunger am Strand
erzählt, was gewesen ist?«
»Er hat einiges erzählt. Nicht alles. Den Rest habe ich … erraten. Aber es gibt kein glückliches Ende, Julia. Es ist, wie es
ist. Willst du es trotzdem wissen?«
Julia presste die Lippen aufeinander und nickte kurz.
»Erzähl.«
»Erinnerst du dich, dass ich bei deiner Ankunft auf Öland
gesagt habe, der Mörder würde sich von Jens’ Sandale aus
der Reserve locken lassen und sie unbedingt sehen wollen?«,
fragte Gerlof.
Julia nickte.
»Aber er ist nicht aufgetaucht.«
Gerlof ließ seinen Blick aus dem Fenster in die untergehende Sonne wandern. Er wünschte sich, wieder klein zu sein
und in der Stunde der Schatten eine gruselige Geschichte zu
hören. Er wollte nicht alt sein und selber eine erzählen.
»Ich glaube, er ist doch aufgetaucht. Jens’ Mörder ist zu uns
gekommen. Aber wir haben ihn beide nicht erkannt.«
ÖLAND, SEPTEMBER 1972
S ie können nicht nach Hause, Nils«, wiederholt Gunnar. »Sie
sind schon tot. Sie liegen kalt und begraben auf dem Friedhof
von Marnäs.«
Nils schüttelt den Kopf.
»Lassen Sie den Spaten fallen«, zischt er.
In der Alvar ist es mit einem Mal totenstill.
»Lassen Sie zuerst Ihren Spaten fallen, Nils.«
Nils schüttelt statt einer Antwort den Kopf. Er wirft einen
kurzen Blick zu dem anderen Schatzsucher, der nur wenige
Meter entfernt schwer atmend auf der Erde liegt und sich die
Hand gegen die Stirn presst. Der ist ausgeschaltet.
Aber Gunnar ist nach wie vor gefährlich. Er steht breitbeinig vor ihm. Plötzlich hebt er den Kopf und lauscht angestrengt.
»Okay«, lenkt er plötzlich ein. »Ich lass als Erster fallen.«
Der Spaten landet mit einem dumpfen Aufprall neben dem
Opferhügel.
»Gut.« Nils lässt seinen Spaten sinken, aber nicht fallen.
»Und jetzt will ich zu meiner …«
Dann hört auch er ein Geräusch. Es wird lauter. Ein schwaches Rauschen, das schnell zu einem Brummen wird – ein
Dieselmotor.
»Ich glaube, wir bekommen Gesellschaft«, sagt Gunnar.
Ihn scheint das nicht zu überraschen.
Wenige Augenblicke später taucht ein dunkler Schatten
im Nebel auf, der auf vier Rädern über das Gras rollt.
Ein zweiter, brauner Volvo. Er hält neben Gunnars Wagen,
der Motor wird ausgestellt.
Die Fahrertür öffnet sich.
Nils kennt weder das Auto noch den Mann, der aussteigt.
Er ist wesentlich jünger als Nils und trägt eine schwarze Polizeiuniform, an einem Halfter baumelt seine Dienstwaffe. Er
schlägt die Wagentür zu, zieht sich die Uniform zurecht und
kommt auf die Männer zu.
Wenige Meter vor Nils bleibt er stehen.
»Wir sind uns nie begegnet, aber ich habe viel an Sie gedacht«, sagt er.
Nils starrt ihn mit offenem Mund an.
»Sie haben meinen Vater ermordet«, fährt der Polizist fort.
Nils versteht kein Wort.
»Nils, das ist Lennart«, stellt Gunnar den Mann vor. »Lennart Henriksson. Sein Vater war Landpolizeikommissar. Sie
erinnern sich, als Sie jung waren, vor vielen Jahren, im Zug
nach Borgholm?«
Der Sohn des Kommissars!
Daraufhin begreift Nils die Zusammenhänge und was ihm
bevorsteht und reagiert sofort. Nils sieht Henriksson noch an
sein Halfter greifen und rennt los, so schnell er kann.
»Halt, stehen bleiben!«
Nils bleibt natürlich nicht stehen, er flieht. Die Falle, die
man ihm gestellt hat, soll jetzt zuschnappen. Aber er ist ihr
entkommen.
Er ist zwar nicht mehr der Jüngste, seine Bewegungen sind
langsam und schwerfällig geworden, aber die Alvar kennt
er wie seine
Weitere Kostenlose Bücher