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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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sie zu sehen, dass ich sie am liebsten an mich reißen und sie umarmen möchte. Allerdings weiß ich nicht, ob es cool ist, mit Engeln Ganzkörperkontakt zu pflegen. Stattdessen sage ich: »
Hola
, willkommen zurück. Wo bist du gewesen?«
    »Da und dort. Hey, was hältst du davon, hä?« Sie tätschelt den milchfarbenen Baumstamm.
    Ich grinse. »Das nennt sich Baum. Wir haben ne ganze Menge davon.«
    Dulcie zieht eine Augenbraue hoch, aber eigentlich muss sie lächeln, und, mein Gott, was ist das überhaupt mit den Mädchen im Allgemeinen und mit diesem ganz besonders,dass ich mir am liebsten den ganzen Tag lang Witze ausdenken möchte, nur damit sie mich noch einmal so irre anlächelt? »Ich versprech dir, Cowboy, dass du noch nie zuvor so einen Baum gesehen hast. Schau ihn dir mal näher an.«
    Ich nehme einen dieser Papierschnipsel zwischen die Finger. Beim näheren Betrachten ist das tatsächlich mehr als Papier – als ob jemand einen Zettel an den Baum geheftet hat, dem dann Blattäderchen gewachsen sind.
    »Mach weiter. Lies!«, sagt Dulcie.
    Das Papier ist mit den Jahren so vergilbt, dass ich befürchte, es könnte mir zwischen den Fingern zerbröseln. Irgendwie fühlt es sich trocken an, obwohl ich klitschnass bin. Die Handschrift ist kaum zu entziffern.
    »Was steht drauf?«, fragt Dulcie.
    »Hier steht:
Ich möchte gern Tobias Plummer heiraten

    Sie nickt. »Hübsch. Lies noch eins.«
    Ich schnappe mir ein anderes Blatt. Dieses ist jünger und der Text scheint von einem Computer ausgedruckt zu sein.
»Zum Geburtstag wünsche ich mir einen Gameboy.«
    »Huh«, sagt Dulcie, »viel Glück damit.« Sie pflückt ein Papierblatt vom Baum.
    »Musste das sein?«, sage ich, und haste nicht gesehn, wächst das Blatt nach.
    Ich lese, eines nach dem anderen:
    Ich wünsche mir, dass meine Tochter geheilt wird.
    Ich wünsche mir einen neuen Job.
    Ich wünsche mir, dass mich das Mädchen aus der Vierten an der Bethel Highschool bemerkt.
    Ich wünschte, ich würde die Sonne auf meinem Gesicht spüren. Ich fühle nirgendwo mehr Wärme.
    Ich wünschte, ich wüsste, wonach ich mich sehne.
    »Was sind das für Dinger?«, frage ich und lasse den Ast wieder los.
    »Wünsche. Es ist ein Wunschbaum.«
    »Ein Wunschbaum«, wiederhole ich. »Er erfüllt Wünsche«, sagt sie, so, als ob ich das wissen müsste.
    »Wie soll das gehen? Leute schreiben ihre Hoffnungen und Träume auf und heften sie an den Baum, und der Baum sagt: ›Hui! Hier, bitte schön. Eine große dampfende Platte voller Köstlichkeiten ganz nach deinem Wunsch. Guten Appetit!‹«
    Dulcie schlenkert mit der Hand hin und her. »So ungefähr.«
    »So ungefähr?«
    »So ungefähr.«
    Dulcie zupft sich ein paar Kiefernnadeln aus den Flügeln, die heute weder mit fliegenden Kühen dekoriert noch wie Fleckvieh angemalt sind. Sie sehen ganz gewöhnlich aus, falls Engelsflügel jemals als »gewöhnlich« bezeichnet werden können. »Ich sterbe vor Hunger. Hast du was Süßes?«
    Ich stecke die Hand in die Hosentasche und ziehe zwei Fruchtgummibärchen hervor, die aneinanderkleben. »Nur die zwei Jungs.«
    »Lass rüberwachsen. Ohne Hosentaschenfussel, bitte.«
    Ich entfussele die Bärchen. Dulcie löst sie voneinander und bietet mir eins an. Als ich ablehne, steckt sie sich das rote in den Mund und schließt verzückt die Augen. »Mein Gott, wie ich Zucker liebe! Die größte Erfindung aller Zeiten.«
    »Zurück zum Baum. Wenn du mich fragst, klingt ›so ungefähr‹ ziemlich zufällig.«
    »Also, man muss wissen, was man sich wünscht. Nimm zum Beispiel dieses Blatt.« Sie rupft einen Wunsch vom oberen Teil eines Zweiges. »
Ich wünsche mir, berühmt zu sein.
Okay, erste Frage: Warum will dieses Mädchen berühmt sein? Um angebetet zu werden? Bewundert? Um bemerkt zu werden? Um haufenweise Geld zu scheffeln? Du musst also ins Innere des Wunsches dringen, um seinen Kern, sein Wesen, zu ergründen. Vielleicht ist das, was diese junge Frau eigentlich antreibt, die Sehnsucht nach jemandem, der sie vergöttert. Sie begibt sich also überall dorthin, wo man hingeht, um berühmt zu werden, und sie wird einfach niedergemacht und herumgestoßen wie eine Flipperkugel. Und eines Tages, als sie völlig entmutigt am Strand entlanggeht, kommt dieser eine Mensch, und für den ist sie ein Star. Er verehrt sie und an seiner Seite
fühlt
sie sich bewundert und berühmt. Auf Umwegen hat sie also bekommen, was sie sich gewünscht hat. Wunsch gewährt.«
    Es regnet wieder und die

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