Blutschande
1
Das Leben hatte ihr einen Streich gespielt.
Wie in diesem Lied von Alanis Morisette. Isn’t it ironic? Don’t you think? , summte Liv Moretti vor sich hin.
Und deshalb saß sie jetzt auch in dem blauen Ford Mondeo und raste mit Blaulicht und heulenden Sirenen über den Kongevej. Als Kommissarin der Mordkommission trug sie Zivil, wie ihr etwas älterer Partner, Ole Hansen, der neben ihr auf dem Fahrersitz saß.
»Du schaffst das schon, guck einfach, wie ich das mache.«
Er legte ihr die dicken Finger auf den linken Schenkel und grinste breit. Er zog sie zu gern auf, besonders in solchen angespannten Situationen.
Liv streckte ihm als Antwort die gepiercte Zunge raus. Ole musste herzhaft lachen und nahm die Hand wieder weg.
It’s like rain on your wedding day, it’s a free ride, when you’ve already paid , sang Liv im Stillen weiter, während Ole mit quietschenden Reifen nach links zum Fähranleger abbog.
Um eine lange Geschichte kurz zu machen – und so war es Liv am liebsten –, sie war als Einzelkind in einer Prachtvilla in Espergærde am Øresund aufgewachsen. Ihre Mutter, die Frau des Direktors, war eine Art Hausfrau gewesen, aber mit einem starken Hang zu Beruhigungsmitteln, Valium und Stesolid, die sie meistens schon vor zehn Uhr morgens mit Alkohol herunterspülte. Ihr Vater war dabei geschnappt worden, wie er Gelder aus seiner eigenen Firma abgezweigt hatte, was ihm vier Jahre Knast einbrachte. Das hatte aber keine Wirkung gezeigt, denn sobald er entlassen wurde, schlug er wieder den alten Weg ein, so dass er jetzt erneut wegen Unterschlagung und Betrug im Gefängnis saß.
Dabei war er allerdings so klug gewesen, eine stattliche Summe auf den Namen seiner Frau beiseitezuschaffen und auch auf Livs, wie sie überrascht feststellte, als sie volljährig wurde. Zuerst wollte sie das Geld nicht anrühren, doch später, als sie auf der Polizeischule anfing, kaufte sie sich davon eine Liebhaberwohnung am Nordre Strandvej mit Panoramablick auf Schloss Kronborg.
Dass sie – die in ihrer Jugend der autonomen Szene angehört hatte und überdies Namensschwester eines New Yorker Mafiabosses aus den 30er Jahren war – als Hüterin des Gesetzes enden würde, ja, als jemand, der über Gut und Böse entschied, war schon eine höchst bizarre Laune des Schicksals.
Ihre Mutter hatte ihr deshalb beinahe gedroht, ihr die Hand abzuhacken.
»Das kannst du uns nicht antun«, schrie sie, während ihr Vater nur laut und lange lachte, als Liv ihm bei einem ihrer wenigen Besuche im Gefängnis ihre Zukunftspläne darlegte.
Aber Liv hatte die Entscheidung nie bereut und war jetzt schon fünf Jahre bei der nordseeländischen Polizei in Helsingør. Seit drei Jahren war Ole ihr fester Partner. Sie hatten auch schon vor der Polizeireform 2007 zusammengearbeitet, als sie alle eine neue Dienstbezeichnung bekommen hatten. Dadurch war sie von einer Kriminalassistentin zu einer Kriminalkommissarin mutiert und ihre Dienstgruppe zur Ermittlungseinheit des Dezernates für Gewaltverbrechen gegen Personen. Im Klartext: Mord, schwerer Raub und – wie vermutlich jetzt – Entführung.
»Wie sicher sind wir, dass da wirklich Cecilie an Bord ist?«, fragte sie ihren Kollegen.
Ole zuckte mit den Schultern.
»Gar nicht sicher. Wir wissen bloß, dass eine Kioskverkäuferin angerufen hat, die sich fast hundertprozentig sicher ist, diesen verschwundenen Kinderstar in Gesellschaft eines etwa vierzigjährigen Mannes gesehen zu haben. Sie hat sie erkannt, weil ihr Bild auf der Titelseite einer ihrer Zeitschriften war. Außerdem hat der Mann nervös gewirkt, wodurch sie misstrauisch wurde. Wir haben daraufhin die Polizei in Helsingborg alarmiert, und als die zur Tat schritten und jeden einzelnen Passagier, der die Fähre verlassen wollte, kontrollierten, hat sich der Mann mit dem Mädchen in einer Toilette verbarrikadiert. Und der will nur mit uns reden!«
»Hat er unsere Namen genannt oder einfach nur Polizisten hier aus Helsingør verlangt?«
»Uns zwei hat er verlangt«, brummte Ole.
Wie Liv wunderte auch er sich darüber, dass der Mann explizit nach ihnen gefragt hatte. Er hatte aber keine Lust, weiter darüber nachzugrübeln. Stattdessen fuhr er fort:
»Die Sache ist ziemlich heikel, und wir sollen mit größter Vorsicht vorgehen, um unseren heiß geliebten Chef Polizeipräsident Havskov zu zitieren. Cecilie ist ein Medienliebling, der darf kein Haar gekrümmt werden.«
Oles Finger flatterten durch die Luft, um
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