Ohne Ende Leben - Roman
entfernt torkelt Dulcie umher wie eine Katze, der irgendwas an den Schwanz gebunden wurde.
»Ne besoffene Ballerina!«, rufe ich, und sie rollt mit den Augen. »Ein Kugelfisch in der Todesspirale! Der Grund, warum Dinos aussterben mussten!«
Sie hält inne, stemmt die Hände in die Hüften und bläst sich eine Haarlocke aus der Stirn. »Sternschnuppe!«
»Wow. Von Amts wegen bist du bei dem Spiel ’n Versager. Ich hab gerade nen Engel besiegt. Los, ich bin dran!«
Zwei der Blätter fallen zu Boden. Die Ränder rollen sich zusammen und das Papier zerbröselt.
»Was ist da passiert?«, frage ich.
Dulcie lässt sich neben mir auf den Boden plumpsen. »Diese Wünsche sind in Erfüllung gegangen. So ungefähr.«
Da gibt es was, das mich die ganze Zeit beunruhigt.
»Dulcie …«, fange ich an. »Was passiert eigentlich, wenn ich Dr. X gefunden habe, wenn er mich geheilt hat und das Wurmloch geschlossen ist?«
Ihre Augen sind geschlossen, den Kopf hat sie nach hinten geneigt. »Die Welt ist gerettet und du bist geheilt. Heißaaah!«
»Ja, ich weiß. Aber, äh, was passiert mit dir? Bleibst du hier, oder gehst du wieder dorthin, wo du herkommst, wo immer das auch ist? Werd ich dich jemals wiedersehn?«
Sie springt plötzlich auf. »Hey, willste sehn, wie ich so tu, als ob ich ne Eisskulptur bin? Das kann ich wirklich gut. Pass auf.« Sie steht absolut still, Hände aneinandergepresst, linker Fuß an der Innenseite des rechten Knies. »Du musst dir den Kaviar vorstellen, in kleinen Schüsseln um meinen Fuß drapiert.«
»Du weichst meiner Frage aus.«
»Nein«, sagt sie und beendet ihre Pose. »Ich weiche der Antwort aus.«
»Ich wollte ja nur wissen, was als Nächstes passiert«, sage ich.
»Ihr Menschen bringt mich noch um«, sagt sie lachend, mit einem scharfen Unterton in der Stimme. »Immer in Sorge, ›Was wird passieren? Was kommt als Nächstes?‹. Immer seid ihr irgendwo, nur nicht da, wo ihr wirklich gerade seid. Ihr versteht das einfach nicht.«
»Verstehen was nicht?«
»Hier. Jetzt. Das.« Sie macht eine ausladende Handbewegung und dreht sich im Kreis. »Das ist es, Cowboy, die ganze Fahrt. Sei aufmerksam!«
»Danke dafür, dass du mich mit deiner fortgeschrittenen Engelsweisheit erleuchtest«, schieße ich zurück.
»Immer zur Stelle, wenn’s denn sein muss«, sagt sie ohne eine Spur von Sarkasmus.
Es fängt wieder an zu tröpfeln. Von einem Augenblick zum andern hat sich Dulcie auf einen Ast über mir geschwungen und hält mit einem Flügel den Regen von mir ab.
»Hübscher Regenschirm«, sage ich.
»Wie ich schon sagte: Immer zur Stelle, wenn’s denn sein muss.«
Meine Träume verschwimmen ineinander wie die Bilder eines Kaleidoskops. Ich liege im Bett und höre dem Surren des Beatmungsgerätes zu, während Glory irgendetwas auf meinem Krankenblatt notiert. Dann bin ich in diesem Haus am Meer und lausche der Brandung der Flut, während die alte Dame ihre Lilien in einer Vase arrangiert. Im Krankenhauszimmer läuft der Fernseher, Parker Day moderiert gerade eine Spielshow, Mom und Dad aber sitzen da und lesen. Dann wieder das Haus der alten Dame, eine geschlossene Tür. »Willst du mal reingucken?«, fragt sie und hat die Hand bereits am abgewetzten Türknopf. Ich schüttle den Kopf. Sie lächelt, nimmt ihre Hand weg. »Ein andermal.«
Dulcie ist bei mir. Ich kann nicht hören, was ich gesagt habe, aber sie lacht. Sie ist einfach wundervoll.
Etwas läuft schief. Der Große Abrechner greift nach mir. Dulcie streckt mir ihre Hände entgegen, aber ich kann sie nicht fassen. Am Himmel öffnet sich ein schwarzes Loch und zieht mich hinein.
Die Feuerriesen legen alles in Schutt und Asche, was ihnen im Weg ist. Dann reißen sie ein letztes Mal ihre Mäuler auf und pusten, bis mich die Flammen verschlungen haben.
Als ich aufwache, sehe ich die Bäume über mir, windstill und leise. Die Luft ist voll von süßem Kiefernduft. Dulcie ist verschwunden. Auf meinem Oberschenkel liegt eine Feder. Auf ihr findet sich keine Botschaft. Sie ist weiß und jung wie frischer Schnee. Ich halte sie vor meine Nase und atme ihren Duft ein.
Als ich zum Caddy zurückkehre, hat es aufgehört zu regnen. Gonzo und Balder sind immer noch im Tiefschlaf und schnarchen vor sich hin. Der alte Mann sitzt in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda und ruft mich. »Hab dein’ Wagen wieder flottgemacht. Muss jezz ’n büschen verschnaufn.«
»Danke schön. Äh, wie viel …?«
»Vergisses, junger Mann.
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