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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Tropfen platschen sanft auf den Waldboden.
    »Was für ne Schwachsinnsphilosophie von Selbsthilfe light is’n das?«, frage ich. »Jemand hängt hier seine Wünsche an den Baum und erwartet, dass sie Wirklichkeit werden, und dieser   …
Baum
entscheidet total willkürlich darüber, was vielleicht oder vielleicht auch nicht der Kern des Wunsches ist? Das ist bescheuert!«
    Dulcie beißt den Kopf des zweiten Gummibärchens ab. »Deine Skepsis wird ordnungsgemäß zur Kenntnis genommen.«
    »Wie wär’s damit? Was wäre, wenn der Wunschbaum den Menschen ihre verdammten Wünsche genau so erfüllt, wie sie es wünschen?«
    »So läuft das nicht.« Sie holt einen Rest Gummibärchen zwischen den Backenzähnen hervor.
    »Ja, aber wie’s läuft, ist dämlich.«
    Dulcie schaut mich an – ich meine: schaut mich wirklich an. Als ob sie mir direkt ins innerste Innere blickt. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Cowboy«, sagt sie mit ruhiger Stimme.
    »Was meinst du damit?«
    »Wünsch dir was. Und schau, ob’s erfüllt wird.«
    Sie kommt näher, und ich kann ihren Duft riechen, der sich mit dem des Regens und der Kiefern vermischt. Sie duftet vertraut und beruhigend, wie all die Dinge, die du gerne mit auf Reisen nehmen würdest, um dich weniger allein zu fühlen. Dulcie sieht mir direkt ins Gesicht. Ihre Augen erinnern mich an das Meer im Winter – grau und klar, eine ruhige Oberfläche, unter der sich eine gefährliche Strömung verbirgt, etwas, auf das du dich nur einlässt, wenn du sicher bist, dass du damit fertig wirst – und wenn nicht, tja, dann ist es jetzt eh zu spät.
    »Ich   … ähm, hab kein Papier«, sage ich.
    Sie beugt sich zu mir. Ihr Flüsterhauch wärmt mein Ohr. »Hosentasche.«
    »Hä?«
    Sie hüpft über einen Zweig, balanciert auf einem Bein. »Das Ding hinten an deiner Hose.«
    Ich greife in meine Gesäßtasche und finde die kryptische Notiz, die mir Junior Webster hinterlassen hat:
leben
.
    »Kuli?«, sage ich.
    Sie hüpft auf den anderen Fuß. »Ich bin keine Kulifabrik. Du hast einen in deiner Jacke. Er läuft aus.«
    Ein großer Tintenklecks hat die linke Seite meiner Windjacke verfärbt. Genervt wische ich den Stift ab und setzemich auf den einzigen trockenen Fleck am Boden. Eine ganze Weile lang lausche ich dem sanften Trommeln des Regens und versuche, meinen Wunsch hieb- und stichfest in Worte zu fassen. Auf so was wie
Ich wünsche mir, berühmt zu sein, und treffe einen Kerl am Strand
kann ich gut verzichten.
    »Geht’s voran?«, fragt mich Dulcie. Wie die Grinsekatze hat sie sich auf einem Ast ausgestreckt.
    »Entschuldige. Aber ich denk nach. Hier geht’s ums große Geld.«
    Sie macht eine abwehrende Geste. »Schon gut. Lass deinen Genius nichts überstürzen.«
    Schließlich schreibe ich das Einzige auf, das mir einfällt, und hefte den Zettel an einen Ast. Mein Wunsch verschwindet im Baum und an der Stelle sprießt ein frisches Blatt hervor. Ich kann sehen, wie auf dem geäderten Papier die Worte erscheinen, als würden sie gerade geboren.
    Dulcie hört auf zu hüpfen. »Was hast du dir gewünscht?«
    »Nütz doch deinen Superengelröntgenblick, um’s rauszufinden.«
    »Ich bin nur ein Botschafter, schon wieder vergessen?«, antwortet Dulcie mit einem Zwinkern. »Also, was immer es ist, ich bin mir sicher, dass es in Erfüllung geht.«
    »So ungefähr«, sage ich.
    »So ungefähr.«
    Plötzlich legt sie mir ihre Arme um den Hals und genauso schnell zieht sie sie wieder zurück. Ich fühle den leeren Raum zwischen uns, als ob er eine dritte Person ist.
    »Ich hab ihn!«, sagt sie und winkt mit etwas in ihrer Hand. Es ist ein wirklich altes Blatt, ein letzter Wunsch ans Universum von einem müden Wanderer, der durch Hope kam, auf dem Weg nach Werweißwohin.
    »Ah«, sagt sie lächelnd. »Also, das ist genial.«
    Sie öffnet ihre Hand und zeigt mir den Kern eines anonymen Wunsches.
    Da steht nur:
Ich will   …

KAPITEL DREIUNDDREISSIG
    In dem ich eine notwendige Rolle spiele
     
    Ich weiß nicht, wie lange ich mit Dulcie zusammensitze. Hier unter dem Wunschbaum scheint die Zeit dehnbar zu sein. Wir machen Scharaden – eine gute Übung in total unverständlicher und unfreiwilliger Komik. Meistens hüpft Dulcie auf und nieder und wirbelt herum und zieht Grimassen, was – wie ich feststellen muss – für alles stehen kann, von der bolschewistischen Revolution bis zum Polarlicht. Vom vielen Lachen fühlt sich mein Körper ganz leicht und entspannt an. Ein paar Schritte von mir

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