Ohne Ende Leben - Roman
Ordnung?«, fragt Mrs Rector.
Als ich nach vorne schaue, ist alles wie sonst. Kein Feuer. Nichts. Aber sämtliche Augen sind auf mich gerichtet – ein komisches Gefühl. Gewöhnlich bin ich berühmt dafür, dass man durch mich hindurchguckt oder drüber weg oder auf irgendetwas neben mir.
Mr Glass verschränkt die Arme. »Ja, Mr Smith?«
»Oh, nein. ’tschuldigung. Es war nur … hmm …«
Mrs Rectors gekräuselte Lippen scheinen die Worte festzuhalten:
»Usted está un pendejo.«
Die Stille füllt sich mit dem Gelächter der Horde Mädchen auf der Rechten, die dazu noch ihre Kaugummiblasen platzen lassen. Allein das pulverisiert mein Ego. Irgendjemand trällert »Frrr-eak …«.
»Auf meinem Tisch war ne Kakerlake«, platze ich heraus, »ne ganz große. So groß wie’n Jeep.«
Einige der Mädchen kreischen und ziehen ihre Beine hoch. Unser amtierender Klassenclown macht schlürfende Geräusche, die den koreanischen Austauschschüler neben ihm aus der Fassung bringen.
»Netter Auftritt, Smith«, sagt einer von Chets teigigen Footballkumpels und lacht. Steve oder Knute oder Rock. Einer dieser
muy macho
klingenden Namen. Nicht wie »Cameron«, der eher nach Mädchen klingt.
Mrs Rector klatscht in die Hände. »
Mis amigos, silencio, por favor
. Beruhigen Sie sich. Señor Smith. Ich gebe Ihnen
un pase de pasillo
, damit Sie den
el conserje
finden und an Insektenspray kommen.«
»Und die anderen – bitte schlagen Sie in Ihren Prüfungsvorbereitungsbüchern Kapitel fünf auf«, bittet Mr Glassinständig, »Warum Sie Denken am Prüfungstag belasten kann«.
Ich nehme den Freigang-Pass und steuere direkt auf die Jungstoilette im dritten Stock zu.
Die Gesellschaft für Konspirationstheorie & Spiele
– Kiffer Kevin, Kiffer Kyle und Teilzeit-Kifferin Rachel – befindet sich an ihrem Geschäftssitz. Technisch gesehen ist Mädchen der Zutritt zu Jungstoiletten verboten, aber nachdem die Loser – einschließlich der hier erwähnten Gesellschaft – immer nur diese eine benützen, ist das kein Thema. Übrigens, Rachel ist fünfzehn, mit sechs Tattoos und sieben Piercings. Niemand gibt ihr Shit.
Vermutlich sind wir irgendeine Art von Freunden. Falls es als Zeichen von Freundschaft gilt, bekifft in Highschool-Toiletten rumzuhängen und gelegentlich in der Cafeteria an einem Tisch zu sitzen. Wir tauschen »Heys« aus, mit eingeschränktem Blickkontakt – meine bevorzugte Grußform –, und sie bieten mir etwas von dem Gras an, mit dem sie ihre Toilettenkuschelsitzung zu vernebeln versuchen, als ob nicht schon der Geruch total verräterisch wäre.
»Danke, Mann«, sage ich und nehme zwei tiefe Züge, um mich zu beruhigen. Ich wichse mir die bizarre Flammenfantasie von eben wie einen LS D-Flashback runter, nur dass ich nie LSD eingeworfen habe, weil ich es schlimm finde, freiwillig einen Ort aufzusuchen, der höllisch, furchterregend und außerhalb meiner Kontrolle ist – ein Ort also, der der Highschool ziemlich ähnlich ist.
Kiffer Kevin fängt plötzlich an zu quasseln – wie ein T V-Programm nach der Werbung. »Ich hab gerade gesagt, dass die Katze entweder tot ist oder lebendig. Sie kann ja nicht beides gleichzeitig sein.«
Rachel bläst Rauch aus dem Mund. »Falsch, Alter. Die Katze ist beides, tot und lebendig – bis du die Kiste öffnestund einen Blick drauf wirfst. Bis dahin existieren alle Möglichkeiten. Du bist der Schöpfer.«
»Hör zu, meine Freundin.« Kevin hält den Kopf unter den Wasserhahn, trinkt einen Schluck Wasser und wischt sich den Mund an seinem Frank-Zappa-Shirt ab. »Ich denk mir nicht die Gesetze der Quantenmechanik aus – ich spiel nur nach ihnen.«
Rachel reicht mir den Joint rüber und schaut mich an. »Du weißt doch, was mit Schrödingers Katze passiert ist, oder?«
Ich zucke mit der Schulter.
»Auuu, Alter«, tönen die drei aus einem Mund.
Kyles Augen sind zu Schlitzen zusammengezogen und blutunterlaufen. Er grinst. »Das wird dich umhauen! Also, dieser Wissenschaftlertyp, Schrödinger, hat ein voll irres Gedankenexperiment in Quantenmechanik gemacht, wo er ja absolut fit ist. ›Hey, was passiert, wenn man eine Katze in eine abgedichtete Kiste mit, sagen wir, einer radioaktiven Substanz …‹«
»Nicht, dass du deine Katze wirklich in eine Kiste mit Gift steckst. Es ist ja nur ein Gedankenexperiment«, betont Rachel.
»… und das Atom zerfällt entweder und die Katze stirbt – oder auch nicht. Bis du die Kiste öffnest und nachsiehst, ist alles
Weitere Kostenlose Bücher