Ohne Ende Leben - Roman
Englischunterricht, der für die meisten von uns eine qualvolle Schlaf-nicht-ein-Übung ist, während die großen Klassiker der Literatur an uns vorbeirauschen. Diese Werke – bahnbrechend, revolutionär, zeitlos – wurden von Lehrplanmonstern zu einem leicht verdaulichen Halbwahrheitsbrei püriert, den wir dann während einer Prüfung wieder auskotzen können.
Gute Punktezahlen bei Prüfungen – das beschert dem Schulbezirk die Dollarscheine, nach denen er sich sehnt. Dass der Schulstoff verstanden und geschätzt wird, ist dabei zweitrangig.
»Es heißt
Don Quijote
«, sagt Mr Glass und spricht das »j« als »ch« aus, wie es sich gehört.
»Don Key-ho-tay«, wiederholt Chet und übertreibt dabei die leicht weichgespülte Ausdrucksweise von Mr Glass. Seine Football-Kumpels prusten vor Lachen wie Backgroundsänger, die Anabolika geschluckt haben. Sie tragen ihre Trikots. Chet auch, obwohl er weder heute noch anirgendeinem anderen Tag jemals wieder spielen wird. Seit er sich bei einem bösen Crash auf dem Spielfeld zwei Rückenwirbel gleich unterhalb seines Halses gebrochen hat, ist unser ehemaliger All-State-Quarterback dauerhaft außer Gefecht. Ein anderer Typ hätte sich vielleicht aus Kummer über das Ende einer großartigen Sportlerkarriere die Kante gegeben. Nicht so Chet. Er wechselte zum anderen Extrem und behauptete, der Unfall sei Gottes Wille gewesen und würde ihn auf einen neuen Pfad des Lebens führen. Er gibt diese kleine Motivationsrede seither bei Kiwanis Clubabenden zum Besten, bei Pep Rallyes, in Kirchengemeinden, Jugendgruppen, zu jeder Gelegenheit also, bei der ihm Applaus und Jubel entgegenschlägt: »Gott hat mir mein Football-Stipendium genommen, aber ich bin immer noch glücklich, glücklich, glücklich.« Ich vermute, wenn die Droge deiner Wahl aus Zustimmung und Bewunderung besteht, dann ist es verdammt schwer, auf sie zu verzichten.
Jedenfalls hat es ihn ins Bett gebracht, wie ich höre. Mit verständnisvollen Cheerleadern einen horizontalen Tango hinzulegen, ist in Gottes großem Buch anscheinend genehmigt, und außerdem erschüttert es deine Wirbelsäule auch nicht so wie Football. Allerdings treibt er es mit meiner Schwester Jenna, weshalb sich mein Verständnis in Grenzen hält.
Mr Glass ist die Ruhe selbst. »Okay, setzen Sie sich. Noch hab ich Sie nicht rausgeschmissen.«
Du hast uns schon am ersten Tag rausgeschmissen
, denke ich. Das ist die Art von bitterem Kommentar, den man gerne mit einem Partner, einem Freund, einem Kumpel, einem Mitverschwörer teilen würde. Wenn ich einen hätte.
»¡Hola! ¿Quién puede decirme algo sobre Miguel Cervantes?«
Mrs Rector, die Spanischlehrerin der Calhoun Highschool, eilt zu Hilfe. Die Schulverwaltung hat in diesem Jahr für bestimmte Unterrichtsphasen Zweit-Lehrer verordnet. Die Idee ist, dass wir unsere Bildungserfahrungen mit Leckerbissen aus Geschichte
und
Literatur, Sozialkunde
und
Fremdsprachenkenntnissen, Chemie
und
Umweltkunde befruchten sollen, was sich als nützlich erweisen könnte, wenn wir den Drang verspüren, eine höchst instabile Bananencremetorte zuzubereiten.
Mrs Rector übersetzt etwas vom spanischen Text und lässt dabei das korrekte »r« rollen. Die flackernde Neonbeleuchtung sendet einen gleichmäßigen Morsecode aus: Wir haben Hunger. Alles in allem bin ich bereit, unter dem Radarschirm aus dem Klassenzimmer zu fliegen. Nur noch zehn Minuten und mich treibt es durch die Schulhaustore, an den Schulbussen vorbei, die in Linie für das Auswärtsspiel bereitstehen, schnurstracks in die Innenstadt, zu
Eubie’s Hot
Wax-
Plattenladen, wo es CDs zum halben Preis gibt und alte Schellackplatten.
»Ist Don Quijote verrückt, oder ist es die Art, wie die Welt die Ideale des fahrenden Ritters wahrnimmt? Das ist die rhetorische Frage, die uns Cervantes zu stellen scheint. Aber für unsere Zwecke gibt es eine richtige Antwort, und Sie müssen sie wissen, wenn Sie den FU K-Test bestehen wollen«, sagt Mr Glass und zeigt an die Tafel, wo FÖRDERUNGS- UND KOMPETEN Z-Test zweimal unterstrichen steht. Die monotone Stimme von Mr Glass lullt mich ein. Die Neonbeleuchtung flackert, summt und zischt. Ich lege den Kopf auf meinen Schreibtisch und das Ticken des Minutenzeigers dröhnt in meinem Ohr. Meine Augenlider werden schwer. Fast … schlafe ich ein …
Der Raum brennt. Eine Flammenwand lodert vor meinenAugen. Ich springe vom Stuhl, stoße ihn um. Mit einem lauten Krach prallt er auf den Boden.
»Mr Smith? Alles in
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