Oktoberfest
Fehlbestände bei Neulieferungen melden. Über Monate. Dann haben die Jungs von der Versorgung und der Luftwaffe den Schwarzen Peter. Ich werde einfach behaupten, die Sachen nicht in der Stückzahl erhalten zu haben, die in den Papieren steht.«
»Sie meinen, das reicht?«
»Nun ja, ich werde sicher auch noch ein paar Bestandslisten frisieren müssen. Vor allem, was den Kleinkram betrifft. Und die Munition. Aber das bekomme ich schon hin. Ich mache den Job lange genug.«
»Weiß sonst noch jemand von diesem Geschäft? Von unserem Kontakt? Ich meine, innerhalb der Kaserne? Ich meine, jemand von Ihren Kameraden?« Der Mann sprach das Wort fast spöttisch aus.
»Natürlich nicht. Das erledige ich ganz allein. Kein Mensch weiß davon. Ich werde ein paar Unteroffiziere bestechen müssen, dass sie beide Augen zudrücken, aber das ist auch alles.« Lohweg machte eine Pause. »Glauben Sie denn, ich bin blöd?«
Beinahe wäre dem Mann die Kontrolle über seine ausdruckslosen Gesichtszüge entglitten. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Lachen. Lohweg sah das kurze verräterische Zucken der Wangenmuskeln nicht.
Das war keine Frage des Glaubens.
Der Mann wusste , dass er einen Blödmann vor sich hatte.
Einen ausgemachten Vollidioten.
*
Werner Vogel war mittelgroß und hatte blondes Haar, seine Stirn war für sein Alter allerdings bereits recht hoch. Unter diesem blonden Haar blickten einen zwei wache, blaugraue Augen an. Seine Gesichtszüge waren weich, die Haut war ohne Falten. Nur auf der Stirn hatten sich die Jahre bereits mit zwei parallelen Linien eingegraben.
Wenn er lächelte, zogen sich die Augenwinkel so weit nach oben, dass bei seinem Gegenüber das Gefühl entstand, die Augen lächelten mit. Aber nicht nur seine Mimik, auch sein gepflegtes Äußeres machten Werner Vogel zu einem Menschen mit einem sehr gewinnenden Wesen. Sein höfliches Auftreten verstärkte diesen Eindruck noch.
Romberg mochte den Mann von Anfang an.
Binnen kurzer Zeit stellte Vogel die Buchhaltung auf Computer um. All der lästige Papierkram, der früher ganze Tage verschlungen hatte, erledigte sich seither wie von Zauberhand.
Romberg beschäftigte sich in seiner Freizeit gelegentlich mit Kartenzauberei. Einige der einfacheren Tricks beherrschte er mittlerweile mit einer verblüffenden Präzision. Er hatte Judith damit immer zum Lachen bringen können. Deshalb wusste er, dass es in München ein berühmtes Geschäft gab, das Bedarf für Zauberer und Illusionisten verkaufte, den »Zauber Vogel«. Schon bald gab Romberg seinem Mitarbeiter im Stillen diesen Spitznamen.
Die bessere Übersicht über die geschäftlichen Aktivitäten führte dazu, dass die Firma stetig mehr Gewinn abwarf. Bereits nach einem Jahr bot Romberg daher Werner Vogel eine ordentliche Gehaltserhöhung an.
Jedoch nicht nur für die Entwicklung der Firma erwies sich der junge Mann als echter Glücksgriff. Auch im privaten Bereich merkten sie, dass sie viele Interessen teilten. Das Schachspiel war es, das sie zusammenbrachte. Romberg hatte als Kind viel Schach gespielt. Vogel war ein guter Spieler, aber Romberg erinnerte sich nach und nach an seine Fähigkeiten und entwickelte sich bald zu einem angemessenen Gegner.
Bei diesen Partien sprachen sie viel miteinander. Dabei erzählte Vogel von seinem Faible für Oldtimer. Und so gingen sie nach Feierabend oft gemeinsam in eine der Werkstätten, wenn es dort wieder ein besonders schönes Exemplar zu bestaunen gab.
Nach wenigen Jahren war das Verhältnis der beiden ein vertrautes, von Rombergs Seite fast liebevolles Vater-Sohn-Verhältnis geworden.
Auch Vogel mochte Romberg sehr. Er würde ihm nie vergessen, dass er ihm eine Chance gegeben hatte.
Vogel erinnerte sich an den entscheidenden Tag, einen glücklichen Tag.
Glückliche Erinnerungen sind das Wertvollste, was wir besitzen, hatte sein Vater ihm beigebracht.
*
Es war ein Nachmittag im Herbst des Jahres 2001 gewesen. Kurz nach fünf. Erst später wurde Werner Vogel klar, dass dieser Tag der fünfte Jahrestag ihrer ersten Begegnung war. Er saß in seinem Büro. Romberg kam herein.
»Kommen Sie mal mit, Herr Vogel. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Werner stand auf und folgte Romberg zum hinteren der mittlerweile drei Werkstattgebäude. Dabei bemerkte er die ernste Miene auf Rombergs Gesicht.
»Ist etwas passiert?«
»Nein.« Romberg lächelte kurz. »Aber gleich wird etwas passieren.«
Romberg blieb vor der Tür zur Werkstatt stehen und sah ihn lange
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