Oktoberfest
gleichmäßig hoch. Ihr ganzer Stolz waren vier Tieflader, die seit einem Jahr für »Romberg Transporte« fuhren. Seit sie diese Fahrzeuge angeschafft hatten, waren sie sogar im Container-Geschäft.
Romberg Worldwide.
Eines Abends, im Frühling des Jahres 2003, kam Vogel von einem weiteren Kundengespräch zurück. Dass Vogel aufgeregt war, erkannte Romberg bereits an der Art, wie er über den Parkplatz auf das Büro zulief: mit weit ausgreifenden Schritten.
Außerdem fiel Romberg noch etwas auf: Vogel hatte vergessen, sein mittlerweile originalgetreu restauriertes 66er Ford Mustang Cabrio abzuschließen. Schwarz. Rot fuhr ja jeder. Das war Vogel, soweit Romberg sich erinnern konnte, noch nie passiert.
»Karl!« Vogel sprach bereits, obwohl er noch nicht ganz durch die Tür getreten war. »Karl, wir müssen reden.«
»Beruhige dich doch. Setz dich erst mal und erzähl mir der Reihe nach, was passiert ist.«
Vogel ließ Romberg nicht aussprechen.
»Wir müssen Kühltransporter kaufen. Und zwar mindestens gleich ein halbes Dutzend.«
»Kühltransporter?«, fragte Romberg ungläubig.
Die Worte sprudelten aus Vogel nur so heraus. »Ich habe gerade mit einem alten Freund meines Vaters gesprochen. Die beiden kennen sich schon lange. Sie sind zusammen im Vorstand des Trachtenvereins in Murnau. Dieser Freund hat einen Vertrieb für frische Produkte der Höfe aus dem Umland. Er beliefert zahlreiche große Lokale hier in München, Brauereigaststätten, das Hofbräuhaus, sogar das Oktoberfest.«
Vogel musste Luft holen.
»Oktoberfest?«
»Der Mann hat großen Ärger mit seinem jetzigen Transporteur. Unzuverlässige Lieferungen, ungepflegte Wagen. Die Kühlungen fallen immer wieder aus. Die Ware verdirbt. Totalausfall. Der Transporteur sagt dann, er habe die Ware bereits verdorben erhalten. Die beiden können sich nicht mehr riechen. Da liegt ein Geschäft brach, das sollten wir uns schnappen.«
»Geschäft brach?«
»Gibt es hier ein Echo?« Vogel beruhigte sich langsam wieder und musste grinsen. »Karl, das ist ein riesiges Transportvolumen. Und es ist garantiert. Auf Jahre hinaus. Absolut sicher. Du musst zugeben, es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Besucher der Münchner Brauereigaststätten keine Hendl und Haxen mehr zum Bier essen, vom Schweinsbraten ganz zu schweigen.«
Noch an diesem Abend begannen die beiden gemeinsam durchzurechnen, wie viel Geld sie brauchen würden, um in dieses Geschäft einzusteigen. Ihre Stimmung sank während dieser Berechnungen gewaltig, weil sie die Firma bis auf den letzten Cent würden beleihen müssen.
Aber finanzierbar war es.
Es war zu schaffen.
Spät am Abend verabschiedeten sie sich voneinander.
Werner Vogel fuhr im Auto zurück zu seiner Wohnung. Er war aufgedreht. Zu aufgedreht, um gleich schlafen zu gehen. Und er wusste sofort, was er stattdessen tun würde. Er würde noch auf ein Bierchen in seiner Stammkneipe vorbeischauen.
Zur Entspannung.
Bisschen mit den Jungs reden. Ein Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Das Lokal »Klenze 66« konnte er von seiner Wohnung in der Utzschneiderstraße zu Fuß in zehn Minuten bequem erreichen.
Als er über den Gärtnerplatz ging, hatte er keinen Blick für die angestrahlte Fassade des Theaters, die den Platz beherrschte. Tief in Gedanken ging er den Tag und das Gespräch mit Karl noch einmal durch. Und wie er es auch drehte und wendete: Es war möglich. Sie konnten das wirklich schaffen!
Er beschleunigte seine Schritte, als er an das erste frische Bier dachte und an die Phalanx der Tresenkumpane. Wenn er Glück hatte, dann wäre Meierinho heute Abend auch da. Stefan Meier, Spitzname Meierinho, war ein guter Freund von ihm. Sie waren schon gemeinsam in den Urlaub gefahren. Mit dem Rucksack die französische Atlantikküste entlang. Er schätzte Meierinhos bisweilen sehr schwarzen Humor. Außerdem war er intelligent. Meierinho arbeitete bei einem großen Technologiekonzern.
Irgendwas mit Handys.
Dem würde er von der Sache erzählen. Er war gespannt, was der dazu sagen würde. Was für ein Geschäft.
Das Oktoberfest!
Das war wie ein Treffer im Lotto.
Jedes Jahr ein Treffer im Lotto.
Vogel zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Die Nächte waren noch empfindlich kühl. Aber es konnte keinen Zweifel geben: Es wurde Frühling.
*
Karl Romberg schlief schlecht in dieser Nacht. Er träumte seinen Traum. Viele Jahre hatte er sich jeden Abend vor dem Einschlafen gefürchtet, weil er wusste, der Traum würde kommen.
Weitere Kostenlose Bücher