Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
und konservativ gekleidet. Meistens trug er einen zeitlosen beigen Anzug, der ihm auf den Leib geschneidert war und doch aussah, als passe er nicht zu ihm.
Vielleicht war Wittkampf bisher auch wegen seiner zurückhaltenden Erscheinung immer als loyal zur Behördenleitung bekannt gewesen.
Irgendetwas musste geschehen sein, dass Wittkampf jetzt eine Ausnahme machte.
Davídsson steckte das halb verkratzte Foto zusammen mit seinem Handy in die Innentasche seines Mantels, während er weiter über Wittkampf nachdachte.
18
Ó lafur Davídsson stand in einer dunklen Tordurchfahrt und fröstelte.
Die Pförtnerin hinter dickem Sicherheitsglas telefonierte. Sein Dienstausweis vom Bundeskriminalamt hatte bei der molligen Frau keine Wirkung gezeigt. Sie hatte den Ausweis angesehen, als handele es sich um ein Stück Kaugummipapier, und stattdessen nach einem Ansprechpartner gefragt. Davídsson hatte gezögert, ihr das Büro des Ministers zu nennen, aber er kannte niemanden im bayerischen Innenministerium, und so war ihm nichts anderes übrig geblieben.
Vor dem dunklen Tor regnete es. Vereinzelt liefen Menschen mit Regenschirmen vorbei, aber eigentlich waren die Straßen an diesem Morgen menschenleer. Das Reiterstandbild von König Ludwig I. auf dem Odeonsplatz war mit einer weißen Plane verhüllt. Davídsson hatte auf einem Hinweisschild gelesen, dass es zurzeit saniert wurde. Er hatte nicht vor, dorthin zurückzugehen, bevor er mit dem Innenminister gesprochen hatte.
Die Pförtnerin legte den Hörer auf und sagte Davídsson über ein Mikrofon, dass der Minister heute keine Zeit für ein Gespräch hätte und alle Anfragen schriftlich erfolgen müssten.
Davídsson fühlte, wie er ärgerlich wurde, und zugleich überfiel ihn ein Gefühl der Ohnmacht, das ihn noch mehr verärgerte. Er wollte gerade wortlos hinaus in den Regen gehen, als ein Kamerateam vom Bayerischen Rundfunk in der Toreinfahrt auftauchte. Eine elegant gekleidete Reporterin fragte die Pförtnerin nach dem Raum einer Pressekonferenz, aber auch die Reporterin wurde von ihr abgewiesen. Einlass war frühestens in einer halben Stunde.
Während die Reporterin sich mit den Kameramännern beriet, fasste Davídsson einen schnellen Entschluss.
Etwas besser gelaunt setzte er sich für eine knappe halbe Stunde in ein Café am Odeonsplatz und kehrte anschließend wieder zum Staatsministerium des Innern zurück, wo er sich mit seinem Personalausweis Zugang zur Pressekonferenz verschaffte.
Als er im überdachten Foyer des Ministeriums stand, war er erstaunt, wie einfach es ihm nun gelungen war, das Gebäude zu betreten.
Er ließ den riesigen halbrunden Hof mit dem glockenartigen Brunnen in der Mitte einen Moment auf sich wirken und ging dann in den 1. Stock, wo bereits eine Gruppe Journalisten darauf wartete, in den Presseraum geführt zu werden.
Ólafur Davídsson setzte sich in den hinteren Teil eines rechteckigen Raumes mit moderner Deckenbeleuchtung und blauen Stoffvorhängen, die offenbar nicht bei der Modernisierung des Presseraumes ausgewechselt worden waren. Zwei Kameras waren auf Stativen vor die Rednerpulte mit bayerischem Wappen aufgebaut worden und mehrere Fotografen testeten die Lichtverhältnisse mit Probeaufnahmen.
Obwohl Davídsson dieses Mal nicht selbst vor der Presse stand, verspürte er trotzdem eine gewisse Anspannung. Er kannte die Geräusche, die Kameras machten, und das stotternde Klacken der Spiegelreflexkameras. Es ist schwer, sich an die Geräusche zu gewöhnen, dachte er. Wenn man vor der Presse stand, war man immer gezwungen, den Raum und die Stille auszufüllen. Alle Augen waren auf einen gerichtet und alle Bewegungen wurden akribisch registriert und kritisch bewertet.
Als der bayerische Innenminister erschien und sich an das mittlere Rednerpult stellte, wurde Davídsson schnell klar, dass auf dieser Pressekonferenz die neueste Kriminalitätsstatistik vorgestellt werden sollte. Links neben dem Minister hatte sich der Chef des Landeskriminalamtes platziert und rechts der Leiter des bayerischen Verfassungsschutzes.
Davídsson dachte an die Wahlplakate und das Versprechen des Innenministers, die Zahl der Drogentoten in Bayern zu halbieren.
Diese Pressekonferenz konnte darüber entscheiden, ob Schirmer-Lunz Ministerpräsident wurde oder nicht.
Zunächst wurden die Zahlen vom Innenminister nüchtern und souverän vorgestellt, ohne dass er Vergleiche zu den vergangenen Jahren zog oder auf die Entwicklung der Statistik einging. Dann
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