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Lokalderby

Titel: Lokalderby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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    »Jetzt schieß! SCHIESS! Du sollst schießen, verdammt!«
    Paul Flemming brüllte aus Leibeskräften, und es hielt ihn kaum auf seinem Platz. Die Leidenschaft, die ihn gepackt hatte wie ein plötzlich auftretendes Sommergewitter, teilte er mit über 40.000 anderen Besuchern des Nürnberger Stadions. Einer war noch enthusiastischer bei der Sache als Paul und verfolgte das Geschehen mit hochrotem Kopf und wippenden Knien: sein Vater Hermann.
    Hermann besaß eine Dauerkarte und war bis vor Kurzem mit dem eigenen Wagen zu den Spielen gekommen. Doch die Fahrerei fiel ihm zusehends schwerer, und mangels einer vernünftigen ÖPNV-Anbindung zwischen Herzogenaurach und Nürnberg musste nun ab und zu Paul ran, um den Chauffeur zu geben. Heute inklusive Begleitung ins Stadion, wo Vater und Sohn sich die Partie des 1. FC Nürnberg gegen Hannover 96 ansahen.
    Ein Spiel ungleicher Gegner, wie Paul meinte, der die kritischen Mienen seiner Nachbarn bemerkte und die sich rapide verschlechternde Stimmung im Fanblock spürte: Die Hannoveraner führten schon seit der vierten Minute mit 1:0. Von Anfang an hatten sie sich überlegen gezeigt, konnten blitzschnell das Mittelfeld überbrücken und tauchten immer wieder im Nürnberger Strafraum auf. Dank seines herausragenden Keepers konnte der Club dem heranstürmenden Kontrahenten trotzen, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Gäste ihre spielerischen Vorteile in ein zweites Tor umwandeln würden.
    »Was veranstalten diese Deppen da eigentlich?«, zürnte Hermann, der glühende Club-Fan, über sein Team. »Fehlt nur noch, dass sie über ihre eigenen Füße stolpern.«
    »Ja, ein ziemliches Gestöpsel«, stimmte Paul ihm zu. »Wir haben den Hannoveranern nicht viel entgegenzusetzen.«
    »Ein Jammer. Ausgerechnet gegen diese Flachländer zu verlieren, das wäre eine Schande. Wozu trainieren die denn die ganze Woche, wenn sie dann nicht mehr Leistung zeigen als die F-Jugend?«
    Wie auf dem Feld dominierten auch auf den Zuschauerrängen die Fans von 96 das Geschehen: Obwohl deutlich in der Minderheit, zog der gegnerische Block eine wilde Show ab mit La-Ola-Wellen, Pfeifkonzert und Gesang für die »Roten«, wie die Hannoveraner wegen ihrer traditionellen Trikotfarbe genannt wurden. In den wenigen Momenten, in denen sich der Club den Ball erobern konnte, pfiffen die niedersächsischen Fans die Gastgeber gnadenlos nieder.
    »Schlaft nicht ein!«, rief Hermann durch seine zum Trichter geformten Hände. »Zeigt, was ihr draufhabt!«
    »Ran! Geht endlich ran!«, feuerte auch Paul die Nürnberger Elf an, in der Hoffnung, die anderen Zuschauer in seiner Reihe aus ihrer Lethargie zu reißen. Ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, hatten die meisten von ihnen nämlich schon resigniert.
    Leider zu Recht, wie Paul gleich darauf erfahren musste: In einer kaum gebremsten Sololeistung führte der Hannoversche Mittelstürmer den Ball an der wie festgenagelt wirkenden Nürnberger Abwehr vorbei und drosch das Leder in Richtung des völlig schutzlosen Keepers. Ein Schuss in die Wolken zwar, denn der 96er verpasste den Kasten, aber die Gäste bewiesen einmal mehr, dass sie brandgefährlich waren.
    »Lasst euch das nicht gefallen! Tretet ihnen in den Arsch!«, brüllte Hermann mit glühenden Wangen – und verblüffte Paul ob seiner Ausdrucksweise. »Es darf nicht wahr sein, dass ihr Schnarchnasen nicht mit dieser Gurkentruppe fertigwerdet!«
    Doch die Hannoveraner ließen nicht locker. Sie drängten nach vorn, um die Begegnung so früh wie möglich für sich zu entscheiden und die Sache in trockene Tücher zu bringen. Sie gierten nach dem zweiten Treffer und traten aggressiv auf wie Haie im Blutrausch. Paul mochte gar nicht hinschauen, als ein geballter Sturmlauf der Gäste in der 20. Minute für die nächste Großchance sorgte. Es blieb beim Lattentreffer – vorerst.
    Hermann setzte zu einem weiteren Brüller an, ließ es aber bleiben. Stattdessen grummelte er etwas Unverständliches vor sich hin und rieb seine Hände nervös am rot-schwarzen Schal. Paul teilte sein Unbehagen angesichts des Spielverlaufs, doch im Gegensatz zu seinem Vater würde er sich die Laune auch im Falle einer Heimniederlage keineswegs verderben lassen. Denn er selbst begriff sich nicht als überzeugten Fußballfan.
    Als Kind hatte er zum Leidwesen seines Vaters nur kurz und wenig erfolgreich im Verein gespielt, die Bundesliga ließ ihn kalt, und selbst bei Champions-League-Spielen schaltete er den Fernseher höchstens

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