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Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Titel: Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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standhalten. Dazu brauchen wir alle Mut: die Soldaten, die Männer und Frauen in der Stadt, aber auch die Kinder. Was immer geschieht, verliert niemals den Mut! Dann werden die Deutschen unsere Stadt auch nicht einnehmen können, und wenn sie uns noch tausend Tage belagern.«
    Danach brachten die Frauen mit den Armbinden die Kinder nach draußen. Weil niemand anders da war, hatte sich Oleg bei einer von ihnen für den schönen Nachmittag bedankt.
    Draußen standen einige Mütter, starr vor Kälte, und warteten im Schnee. Die meisten Kinder gingen allein nach Hause.
    Oleg ging ein kleines Stück mit dem Jungen, der später Partisan werden wollte. Es war dunkel und fror, dass der Schnee unter den Füßen knirschte. Als der Junge rechts abbiegen musste, fragte er: »Kommst du noch ein Stück mit?«
    »Nein«, erwiderte Oleg. Er wollte nach Hause mit seinem Brot und dem Kotelett.
    »Es ist so dunkel!« Es klang flehend und ein bisschen ängstlich.
    »Nein, ich kann wirklich nicht.«
    Erst als der Junge in der Richtung der Sankt-Nikolaus-Kircheverschwand, wurde es Oleg klar, dass sich der zukünftige Partisan im Dunkeln fürchtete.
    Ein eiskalter Nordwind blies durch die düsteren Straßen. In der Ferne dröhnten jetzt unaufhörlich die Geschütze. Wurde dort schwer gekämpft?
    Auf dem Newski-Prospekt, der breiten Hauptstraße, waren noch ziemlich viele Leute unterwegs gewesen. Doch je weiter sich Oleg vom Zentrum entfernte, desto stiller, dunkler und geheimnisvoller wurden die Straßen und Plätze. Tapfer voranschreitend richtete er den kleinen Lichtschein der Taschenlampe auf den schmalen Trampelpfad zwischen den Schneehaufen. Immer wieder griff er in die Tasche, um festzustellen, ob das Kotelett noch da war. Hier und da ragten die Ruinen der bombardierten Häuser spukhaft wie traurige Gerippe in die neblige Nacht: »Die Risse im weißen Mantel Leningrads.« Dunkle Gestalten bewegten sich durch den Schnee. Krampfhaft bemühte sich Oleg, an angenehme Dinge zu denken. Gleich würde er mit seinem Kotelett zu Hause ankommen. Und wenn seine Mutter das Fleisch und das Brot gegessen hatte, würde sie wieder kräftiger sein.
    Oleg umklammerte die Pistole. An jeder Straßenecke konnte eine Gefahr lauern. Ob es jemand wagen würde, ihm Kotelett und Brot wegzunehmen? Jemand, der irrsinnig war vor Hunger, würde wohl zu allem imstande sein! Oleg beschleunigte den Schritt. Er hatte mindestens noch eine halbe Stunde zu gehen.
    Die dunkle, verwundete Stadt schien ihm heute voller Gefahren. Ob der Mann, der dort weiter oben an einerMauer lehnte, ihn anhalten wollte? Bewegte sich da etwas hinter diesem Trümmerhaufen? Lauerte jemand auf eine Chance?
    Oleg holte die Pistole heraus. Er beleuchtete sie mit den kurzen Lichtstrahlen der automatischen Taschenlampe, damit jeder sehen konnte, dass er bewaffnet war.
    Schritte! Hinter ihm! Mit Entsetzen entdeckte Oleg, dass ihm jetzt wirklich jemand folgte.
    »He, Junge!«
    Einen Augenblick war Oleg drauf und dran, einfach loszurennen. Doch nach all der Anspannung war er zu müde. Er blieb stehen. Die Schritte näherten sich. Langsam wandte sich Oleg um.
    Einen Augenblick glaubte er, dass der Kommandant der deutschen Patrouille vor ihm stehe. Aber es war ein Hauptmann der Roten Armee. Groß und breit, eine graue Pelzmütze auf dem Kopf, stand er im Schnee. »Junge, wie komm ich nach Smolny?«
    Oleg holte tief Luft. Er musste erst zu sich kommen. »Ins Hauptquartier!«, erklärte der Hauptmann. Sein Atem stob weiß in die Höhe und löste sich im Nebel auf. Eine seltsame Frage. Ganz Leningrad wusste, wo das Hauptquartier war!
    Oleg sah sich um. Manchmal war es schwer, zwischen den Trümmerhaufen zu wissen, wo man sich befand. So viele Stellen waren unkenntlich geworden.
    »Sie müssen hier gerade weitergehen, bis zum Ligowski-Prospekt. Dann links ab . . . in Richtung auf das Tauride-Palais . . . danach am Suworow-Museum nach rechts . . . dann stoßen Sie drauf.«
    Der Hauptmann schaute lächelnd auf Oleg nieder. »Diese Namen sagen mir alle nichts. Ich bin erst seit wenigen Tagen in der Stadt.«
    »Sind Sie Partisan?« Oleg wusste, dass Partisanen manchmal die deutschen Linien durchbrachen. Dann brachten sie auf geheimen Wegen durch die Wälder Essen und Medikamente in die Stadt.
    Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Ich bin über den See gekommen.«
    ›Er kommt aus einer andern Welt‹, dachte Oleg. ›Vielleicht gar aus dem fernen Swerdlowsk, wo es keinen Krieg gibt, wo keine Trümmerhaufen,

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