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Olga & Lust und Leid

Olga & Lust und Leid

Titel: Olga & Lust und Leid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Anderson
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Das Farbempfinden hatte sich etwas verändert. Die neue Welt wirkte nun so ausdrucksvoll wie auf farbenprächtigen Gemälden. Ich sah schärfer als eine Katze. Geruchssinn und Muskelkraft waren einfach phänomenal.
    Inzwischen vermochte ich drei Zentner schwere Steine etwa zehn Meter weit zu werfen. Der Appetit richtete sich nicht nur auf Blut, sondern auch auf rohes Fleisch, rote Beeren, Früchte, sogar Brot und anderes. Nach einiger Zeit entwickelte sich jedoch wie bei einer Laudanumsüchtigen die Gier nach dem roten Lebenssaft. Sie stieg dann von Tag zu Tag an. Trank ich das erlösende Getränk nicht, schwanden mir die Kräfte. Ich fror dann immer mehr und Haut sowie Haare verloren ihren Glanz. Auch die Gedankenwelt verdunkelte sich. Die wilde bluthungrige Bestie in mir wurde dadurch von Moment zu Moment aggressiver. Der Geruch des roten Getränkes hatte die Anziehungskraft von Zuckerwasser auf Wespen.
    Diese Gier trieb mich zu meinen ersten Ausflügen an. Schlaf benötigte ich so gut wie gar nicht. Ein kurzes Nickerchen von ein bis zwei Stunden am Tage reichte vollkommen, um mir Erholung zu verschaffen. Dazu hing ich tagsüber im finstersten Winkel der Höhle ab.
    Einmal besuchte ich die umliegenden Dörfer. Dort verschaffte ich mir Kleider, Schuhe, Unterwäsche, Haarfarbe und andere Kleinigkeiten. Da Vorsicht mein Prinzip war, wurde ich nicht gesehen. Die Einwohner verschonte ich, denn der Wald bot mir genug Nahrung.
    Bei den nächtlichen Gängen durchstreifte ich die Umgebung und ernährte mich von Verwundeten, die noch nicht ihren Tod gefunden hatten. Immer wieder verirrten oder versteckten sich Verletzte im Wald und in den Hügeln. Der gute Geruchssinn verriet mir ihren Standort. Manches böse Leben beendete ich so.
    Die meisten der Opfer hatten in diesem langen Krieg so viel unschuldiges Blut anderer vergossen, dass es gerechtfertigt war, sie zu richten. War ich mir unsicher, so blieben sie verschont. Einem unschuldigen Weißgardisten retteten einige Tropfen meines Blutes sogar sein Leben.
    Meist griff ich unvermittelt von hinten an und verdeckte die Augen des Opfers mit einer Hand, während ich trank. Bald entwickelte ich ein Gespür für den Geschmack vom Blut böswilliger Menschen. Es war bitterer, wie ein Muscat beim Wein. Der Geruch und Erfahrungen verrieten mir immer mehr.
    Zuerst war das Töten gewöhnungsbedürftig. Es kostete etwas Übung, die Zähne schnell tief in das Fleisch der Männer zu bohren und den Saft herauszusaugen.
    Das Monster in mir wollte sogar aus Spaß weitere Leben nehmen. Dann rief ich mir jedoch die Stunde unseres Todes, die angstvollen Gesichter meiner Familie und den geleisteten Schwur in Erinnerung. Das schwächte den herzlosen Impuls.
    Damit ich nicht zur Bestie mutierte, erneuerte ich diesen abendlich und brannte ihn so in mein Gedächtnis. Nur diejenigen sollten sterben, die durch ihre Taten das Recht auf ein Leben unter den Menschen verwirkt hatten. Ich wollte ausschließlich eine Soldatin der Rache, die Anwältin der Drangsalierten, die Zarin der Vampire sein.
    Die Jagd auf Jurowski und die anderen Banditen aus seinem Erschießungskommando konnte beginnen. Ihre Rotgardistensterne, wollte ich von ihren Joppen reißen und genüsslich in ihr Blut tunken!
    Das Gewehrfeuer und der Kanonendonner waren in den letzten Tagen leiser geworden und hatten sich gen Westen entfernt. Jekaterinburg war am 25 Juli 1918 befreit worden.
    Ich musste dorthin, um mehr zu erfahren!
    Am Abend des 27. Juli zog ich das schönste Kleid an. Es gehörte einer Apothekerin. Etwas Geld aus dem versteckten Beuterucksack war die Bezahlung gewesen. Mit großem Erstaunen hatte sie es sicher am Morgen auf dem Tisch gefunden. Welcher Dieb bezahlte schon?
    Die vielen Rubel in der Tasche klimperten auf dem Weg nach Jekaterinburg. Da ich mir die Haare gefärbt, die Wangen mit Rote-Beete-Saft betupft, die Brauen mit Holzkohle geschwärzt und die Lippen nach Uraler Art sehr stark geschminkt hatte, würde mich sicher niemand erkennen.
    Konnte ich etwas über den Verbleib von Jurowski erfahren? In das Dokument des Offiziers hatte ich einen neuen Namen eingetragen. Dieses würde mir hoffentlich den Zutritt sichern.
    Auf Neugierige wartete eine glaubhafte Geschichte und auf Verbrecher ein kurzer Dolch im Strumpf.
    Jekaterinburg war etwa fünfzehn Kilometer entfernt. Ich lief sehr schnell durch den duftenden Birkenwald.
    Es war kurz vor 21 Uhr, als ich die Grenze der Stadt erreichte. Menschen waren hier nicht auf der

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