Olga & Lust und Leid
Jahre alt!“
„Was ist mit der Schwester der Zarin?“, wagte ich mit trockenem Hals zu fragen.
„Die deutsche Äbtissin?“
„Ja.“
„Diese haben sie lebendig mit ihren letzten Getreuen in einen tiefen Bergwerksschacht gestoßen. Sterbend hat sie noch einem anderen ihr Tuch um dessen blutenden Kopf gewunden. Sie war eine Märtyrerin.“
Bei Nastja und auch bei mir flossen nun die Tränen.
Die Offiziere wirkten etwas pikiert, da Männer mit Tränen von Frauen immer schwer umzugehen vermögen.
Tarpen von Radewitz hob sein Glas. Alle machten es ihm nach.
„Wenigstens ist die Mutter des Zaren auf der Krim in Sicherheit. Das Gebiet ist ja von den Deutschen besetzt. Da haben die Roten keinen Zugriff. Das hat sie gerettet. Möge Gott den Zaren und seine Familie schützen, wo auch immer sie jetzt gerade sind!“
Alle tranken ihre Gläser leer. Ich beteiligte mich mit Tränen in den Augen und zitternden Beinen. Meine Finger krampften um das Glas.
„Olga, Sie sehen plötzlich ganz mitgenommen aus!“, bemerkte einer der Offiziere in schlechtem Russisch.
„Ihre Augen wirken richtig blutig!“
Erschrocken sahen mich alle an.
Tarpen drückte für einen kurzen Moment mitleidsvoll meine Hand. Ich ließ es dankbar zu. Es tat mir wohl.
„Sie sind vor Schrecken eisig kalt“, stellte er besorgt fest.
„Böse Erinnerungen“, erwiderte ich leise.
Keiner wagte etwas zu sagen.
Pawel Medwedew (1)
Es war ein angenehmer Abend gewesen. Wir hatten eine wundervolle Musikvorstellung besucht. Das Leben in Jekaterinburg verströmte den falschen Schein von Normalität. Vier Monate waren seit meiner Rückkehr vergangen. Der Winter hatte sehr früh begonnen und es gab schon sehr viel Schnee. Das war im Ural normal.
Die Kämpfe waren weit entfernt und es herrschte so etwas wie Waffenruhe. Die Tschechen waren zu wenige, um weitere Eroberungen zu wagen, die Weißgardisten waren kriegsmüde und die Bolschewiken leckten ihre Wunden. Das Deutsche Kaiserreich wurde inzwischen durch eine Revolution erschüttert und Wilhelm II. war nach Belgien geflohen. Er war nicht so stolz wie mein Vater. Das hatte ihm das Leben gerettet. Was würde nun aus der deutsch besetzen Ukraine werden? Alle warteten einfach ab.
Inzwischen hatte ich durch den Oberst Tarpen von Radewitz die meisten Personen von Rang, und selbst den General der tschechischen Legion Radola Gajda, kennengelernt. Sogar bei diesem hatte das böse Blut gewisse Gedanken geweckt. Die neue Situation zwang mich zur Zurückhaltung. Meine Anziehungskraft auf Männer war durch die Verwandlung äußerst stark. Tarpen und auch ich kamen dadurch schnell in schwierige Umstände. Es musste das böse Blut in mir sein, das die Männer anlockte wie Motten das Licht. Dieser Sog richtete sich besonders stark auf die niederen Gelüste.
Er war das Lockgift, das ein Vampir für seine Opfer ausstreute. Das spezielle Interesse des männlichen Geschlechts provozierte den Hass ihrer Begleiterinnen. Ärger und Streit lagen dann in der Luft. Dieser besondere Umstand zwang mich zur Meidung der Jekaterinburger Gesellschaft. Ich schützte Epilepsie vor. Natürlich war ich schon vor der Verwandlung ein gut aussehendes Mädchen gewesen, aber das damalige Interesse der Männer konnte man keinesfalls mit der jetzigen Situation vergleichen.
Nur das enge Zusammensein mit Tarpen gab mir Schutz. Zuweilen genoss ich sogar die Illusion, ein ganz normales menschliches Wesen zu sein.
Verstärkt wurde das unselige Problem noch dadurch, dass auch mich selbst sehr wilde Gelüste in böser Weise plagten. Verdorbene Männer zogen mich an, ließen mich gierig erschauern und es erforderte viel innere Stärke, mich diesen nicht sofort hinzugeben. Zuweilen raubten mir diese hässlichen Anwandlungen jedoch ganz den Verstand. Ich konnte ihnen nicht dauerhaft widerstehen und verkehrte dann wild mit den primitivsten Banditen. Auf dem Höhepunkt der vampirischen Lust führte ich diese meist ihrer verdienten Strafe zu. Das war mein neues Spiel.
Wie konnte ich nach dem, was ich selbst erlebt hatte, überhaupt so handeln? Vampire haben eine andere Moral. Offensichtlich wurde die gerade geborene Bestie durch die brutale Entwürdigung im Koptyaki-Wald geprägt, so wie ein Kücken von seinem ersten Anblick. Das war nur schauerlich, wenn ich darüber mit menschlichem Verstand nachdachte. Tarpen durfte das natürlich niemals erfahren.
Erst gestern hatte ich einen verdorben riechenden, mordlüsternen Soldaten des Kommandos, das
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