Fingermanns Rache
Lokis Forderungen
Das rote Licht blieb dunkel, die Zeit verrann. Kondenswasser sammelte sich an der Decke, lief die rostigen Heizungsrohre entlang und tropfte auf Fabians Gesicht. Die Hitze setzte ihm zu, sein Blick war getrübt. Dennoch war er sich sicher, das Zeichen nicht übersehen zu haben. Er durfte es nicht übersehen. Ein unbedachter Moment bedeutete Schmerz. Er hatte solche Angst vor Schmerzen.
»Warum lässt er mich nicht in Ruhe?«
Seine Stimme ein Krächzen, die Frage verhallte ungehört. Er wischte sich über die Augen. Für einen kurzen Augenblick sah er nichts. War da nicht ein Auflodern der roten Lampe, hatte er das Zeichen übersehen?
»Mach jetzt keinen Fehler«, mahnte er sich. Die Regeln waren eindeutig, er wusste, was er zu tun hatte.
Mechanisch kniete er vor der Bank nieder. Der Bügel der Vorrichtung war gespannt. Seine Hände zitterten, als er den Sack über den Kopf zog und sich dann die Handschellen hinter seinem Rücken anlegte. Er neigte seinen Kopf auf die Bank. Ein leichter Druck und die Vorrichtung rastete ein. Sein Gesicht wurde gegen das modrige Polster gepresst. Sofort bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Der Andruck war zu stark, er bekam kaum Luft.
Nur nicht in Panik geraten, befahl er sich.
Bisher war der Entführer immer sofort erschienen, es konnte nicht mehr lange dauern. Die Sekunden verrannen, sein Atem ging schneller. Niemals gegen die Vorrichtung stemmen, die Warnung war eindeutig. Doch das Gefühl zu ersticken nahm überhand. Ungewollt heftig schob er sein Kinn vor, das Kissen gab nach, aber Erleichterung mochte sich nicht einstellen. Nun begannen seine Lippen zu beben, der Versuch, sich zu beruhigen, scheiterte endgültig. Verzweifelt kämpfte er gegen seine Fesseln an. Kopf und Arme, der ganze Körper zuckte. Umgehend erhöhte die Vorrichtung den Druck. Sein Gesicht sank tiefer ein, der Sack verschloss Nase und Mund. Keine Möglichkeit zu atmen! Wo war der Entführer? Todesangst keimte auf, er mobilisierte alle Kräfte. Die Handschellen schnitten in sein Fleisch, der Schmerz erreichte kaum sein Gehirn. Seine Füße stemmten sich in den Boden, die Vorrichtung erzitterte, aber sie hielt stand. Gleichgültigkeit drohte sich einzustellen. Ein letztes sinnloses Aufbäumen, dann wurde es still.
Stechende Kopfschmerzen weckten ihn. Füße und Hände waren taub. Sein Speichel hatte den Sack getränkt. Es roch widerlich, doch der Druck auf seinen Nacken hatte nachgelassen, er konnte freier atmen. Die Stimme des Entführers füllte warm den Raum, drang an sein Ohr.
»So schnell stirbt man nicht.«
Seine Entgegnung war nur ein Schluchzen. Wieso klang diese Stimme so angenehm, wieso rührte sie ihn zu Tränen?
»Warum tust du dir das an?«
»Das rote Licht, es hat geleuchtet«, presste er hervor.
»Und wenn schon? Niemand zwingt dich.«
»Aber die Regeln, sie müssen eingehalten werden.«
»Wer sagt das?«
»Sie.«
»Es sind nicht meine Regeln. Du allein entscheidest.«
»Ich verstehe nicht. Sie haben es doch befohlen.«
»Fabian«, sein Name, mit sanftem Vorwurf ausgesprochen, wie von dem Vater, der viel zu früh verstorben war. »Fabian, du musst besser zuhören. Ob du die Regeln befolgst oder nicht, liegt ganz bei dir. Tu, was du für richtig hältst, und trage die Konsequenzen.«
»Ich möchte keinen Fehler machen. Wenn ich mich gegen Sie auflehne, werden Sie mich nie freilassen.«
»Aber ich habe gar nicht vor, dich freizulassen.«
»Was?«
»Zumindest nicht in die Freiheit, nach der du dich sehnst.«
»Ich will nur in mein Leben zurück.«
»In was für ein Leben?«
»Bitte, lassen Sie mich gehen.«
»Genug jetzt. Du wirst deinen Bericht abgeben, wie besprochen.«
Fabian versuchte sich zu konzentrieren. Es waren nur ein paar Sätze, er durfte nicht nochmals versagen. Unsicher fragte er: »Welcher Tag?«
»Tag drei.«
»Und die Schlagzeile?«
»Unruhen in Neukölln.«
Fabian spürte, wie das Kissen weggezogen wurde, und hörte das Klicken eines Schalters.
»Du kannst jetzt sprechen.«
Der Sack klebte an Fabians Mund. Er schüttelte den Kopf, und der grobe Stoff löste sich von seinen Lippen. So gefasst wie möglich sagte er: »Tag drei. Dienstag, der 15. April. Unruhen in Neukölln. Ich bin Fabian Flaig. Man hat mich entführt und wird mich töten, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. Bitte tun Sie alles, was von Ihnen verlangt wird.«
Fabian hatte seinen Part erfüllt, das Aufnahmegerät lief noch. Kondenswasser tropfte in seinen
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