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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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vertreten war«, wie man ihm versicherte. Palmis stellvertretender Präfekt erklärte verdrossen: »Kaum ist das eine Verfahren wegen einer ›Vereinigung in krimineller Absicht‹ bei den Akten, schon müssen wir das nächste einleiten.«
    Rossi stattete auch Santo Stefano einen Besuch ab, Musolinos Heimatort, und stieg sogar bis nach Africo hinauf. Er war entsetzt über das Elend dort und schrieb: »Die Hütten sind keine Häuser, die als Schweinekobel, sondern Schweinekobel, die als menschliche Behausungen genutzt werden.« Die Carabinieri erzählten ihm, wie einige Jahre zuvor Mitglieder der Sekte »einen Mann abgeschlachtet und dann mit Salz bestreut hatten wie Pökelfleisch«.
    Adolfo Rossis ausführliche Berichte aus Kalabrien sind noch immer das Beste, was je über die frühe ’Ndrangheta geschrieben wurde; sie hätten es verdient, einer weitaus größeren Leserschaft zugänglich gemacht zu werden als jener der venezianischen Lokalzeitung, in der sie erschienen. Und jeder, den Rossi befragte, bestätigte ihm, dass Musolino ein eingeschworenes Mitglied der
Picciotteria
war – obgleich die Meinungen auseinandergingen, wann genau er den Eid abgelegt und welchen Rang er innehatte. Rossi las Dokumente, die bewiesen, dass die Carabinieri in Santo Stefano Musolino von Anfang an als Ganoven im Visier hatten. Am Tag nach Musolinos erster Messerstecherei mit Vincenzo Zoccali vermerkten sie, er gehöre zur »sogenannten Maffia«.
    Während Musolino wegen versuchten Mordes in Gewahrsam war und auf seinen Prozess wartete, beobachteten die Gefängniswärter, dass er sich aufführte wie ein Camorrista. Einer der Wärter erzählte Rossi:
    »Musolino kam am 8 . April 1898 in dieses Gefängnis. Später informierte mich einer seiner Zellengenossen, dass er bereits im Juni zum Camorrista (also zu einem ranghöheren Mitglied der Vereinigung) aufgestiegen sei.«
    In Africo sprach Rossi mit einem Polizeikommandanten, der erklärte, dass Musolino sich nur deshalb so lange der Verhaftung habe entziehen können, weil die
Picciotteria
auf dem Aspromonte und darüber hinaus ihm geholfen habe. Der Bürgermeister von Africo zum Beispiel, eine zwielichtige Gestalt, die 1894 noch als Zeuge gegen die
Picciotteria
ausgesagt hatte, gestand Rossi, Musolino bei sich Unterschlupf gewährt zu haben. In Santo Stefano erfuhr Rossi, dass etliche Komplizen des Briganten
picciotti
waren, dass einige seiner Eskapaden, auch seine erste Rauferei mit Vincenzo Zoccali, mehr mit den inneren Angelegenheiten der Bande zu tun hatten als mit seinem persönlichen Racheplan.
    Trotz alledem wurde Musolino zum Helden stilisiert: zum Rächer, dem Unrecht geschehen war, zum einsamen Ritter des Waldes, zu einer Art Robin Hood, zum »König des Aspromonte«.
    Sein Ruhm verbreitete sich in Windeseile nach seinem Gefängnisausbruch im Jahr 1899 . Zunächst war er nur ein örtlich begrenztes Phänomen. Die meisten Menschen auf dem Aspromonte glaubten fest, dass Musolino unschuldig und zu Unrecht verurteilt worden sei – wegen des versuchten Mordes an Vincenzo Zoccali. Und in der Tat besteht durchaus der eine oder andere Zweifel, dass der Schuldspruch gerechtfertigt war. Musolinos »Unschuld«, ob sie nun der Wahrheit entsprach oder nicht, erwies sich als die Wurzel seines Ruhms. Die Bauern des Aspromonte, ungebildet und bitter arm, beäugten den Staat mit angeborenem Misstrauen. Für Menschen in solchen Lebensumständen war ein rebellischer Held, der doch nur die falschen Zeugen tötet, ein allzu verlockendes Trugbild.
    So kam es, dass Musolino überall auf dem Aspromonte Verpflegung und Unterschlupf fand. Ihm zuliebe stellten Frauen Kerzen vor die Madonna von Polsi und vor den heiligen Joseph (San Giuseppe, Schutzpatron der Waldarbeiter, dessen Namen Musolino trug). Ein Großteil dieses Rückhalts ist der
Picciotteria
geschuldet. Vieles lässt sich mit einer durchaus verständlichen Furcht erklären. Ein Quentchen jedoch – genau lässt es sich nicht bestimmen – ist der wachsenden Beliebtheit des Briganten geschuldet.
    Bald schon rankten sich wundersame Geschichten um ihn: Der heilige Joseph persönlich, hieß es, sei Musolino im Gefängnis erschienen und habe ihm die Schwachstellen in der Mauer offenbart. Er habe niemals gestohlen, stets für sein Essen bezahlt, sei keiner Frau je zu nahe getreten und habe die unbeholfenen Carabinieri stets überlistet.
    Vom Aspromonte aus verbreitete sich die Musolino-Legende von Mund zu Mund über den gesamten Süden. Er wurde

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