On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
einen echten Studenten, dachte ich. Vernachlässigte Frauen werden mir im Bademantel die Tür öffnen und sagen: »Huch, ich war gerade unter der Dusche.« Ich würde mich vor Verführungen kaum retten können. Mehrere Millionärswitwen würden mich als Gespielen halten, sodass ich bald das Pizzafahren aufgeben könnte.
Als erste Amtshandlung fuhr ich mit dem mir zugewiesenen Motorroller gegen einen Container und durfte in den folgenden Wochen die Reparatur abarbeiten. Der Chef, ein Berliner der Sorte »wortkarg und emotionsarm«, machte kein großes Theater darum. Ich dagegen machte mir tagelang Gedanken und fragte mich, ob ein Job wie Pizzafahrer nicht vielleicht doch eine Nummer zu groß für mich sei. Anstatt von Frauen in Bademänteln in den Whirlpool eingeladen zu werden, verbrachte ich viel Zeit auf dunklen Kopfsteinpflasterstraßen in Lichtenberg und verzweifelte an dem eigenwilligen Berliner Hausnummernsystem. Ich vergaß Getränke und gab falsches Wechselgeld heraus. Immer wieder kam ich mit gesenktem Kopf in die Pizzeria zurück und musste gestehen, was ich diesmal wieder verbockt hatte. Als ich nach zwei Monaten meine Kündigung bekanntgab, sagte der Chef nur: »Ick hab mir schon gewundert, warum du überhaupt noch kommst.«
Dann wurde ich Nachhilfelehrer an einer Nachhilfeschule in Mariendorf. Vor den Stunden hatte ich mehr Angst als die Tugruls, Jennys und Serdars, die ich unterrichtete. Während ich wusste, wo die Mängel der Schüler lagen, durften sie auf gar keinen Fall erfahren, dass ich fachlich oft auf dem Schlauch stand und eine pädagogisch-didaktische Vollpfeife war. Leider war dieser Umstand offensichtlich.
Beim Schüler Robert schien ich jedoch vorsichtigen Erfolg zu haben. Ich lernte mit ihm englische Grammatik, die er zu verstehen vorgab, und half ihm bei den Hausaufgaben, wobei ich aus lauter Ungeduld meistens seine Hausaufgaben selber machte, ihm sagte, er solle das abschreiben und sich merken, wie es ginge, damit er das beim nächsten Mal selber könne. Nach den Noten seiner schriftlichen Arbeiten gefragt, antwortete er jedes Mal mit: »Da hatte ich ne Drei, glaub ich«. Scheint ja zu klappen, dachte ich und war von seinem Fortschritt erstaunt. Eines Tages rief mich seine Lehrerin an und teilte mir mit, dass Roberts Versetzung gefährdet sei. Ob ich denn nicht gemerkt hätte, dass er nichts könne und nichts arbeite. Ob ich sie denn für so verkalkt hielte, dass sie nicht merke, dass seine Hausaufgaben offensichtlich vollständig von seinem Nachhilfelehrer angefertigt wurden. Ob ich denn nie auf die Idee gekommen sei, dass er mich über seine schriftlichen Noten anlog. Ich kündigte, bevor das Schuljahr vorbei war und die Eltern der sitzengebliebenen Schüler womöglich mit Schadenersatzforderungen an mich herantreten konnten.
Von der Vorstellung entsetzt, als Nachhilfelehrer an der Nichtversetzung eines Schülers mitschuldig zu sein, suchte ich mir einen schlichten Job, in dem ich wenig Schaden anrichten konnte. Ich wurde Tellerwäscher in einem Berliner Touristenlokal, das vorwiegend von Busreisegruppen frequentiert wurde, die vorher im Friedrichstadtpalast die chinesische Tanz-Hüpf-Sing-Show »Tao Pao Gong-Oh« oder im Tempodrom die Pferde-Schlittschuh-Revue »Horses on Ice« gesehen hatten. Dies war mir der angenehmste Job. Ich konnte in Ruhe hinter meiner Spülmaschine stehen und in meinem eigenen Tempo meine Arbeit erledigen. Wenn mir ein Teller aus der Hand rutschte und auf dem Boden zerschellte, lachten die Köche. Ich lachte mit. Wenn ich etwas aus der Kühlkammer holen sollte, es nicht fand und dann zum Koch hinüberrief: »Entweder bin ich zu blöd, oder es ist aus«, rief er zurück: »Du bist zu blöd.« Das gefiel mir.
Einmal pro Schicht kochten mir die Köche, was ich wollte. Im Vergleich zu den ständig gestressten Servicekräften hatte ich einen lockeren Job. Er endete an dem Tag, an dem eine Rotte Zollpolizisten in der Küche auftauchte und die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis meiner beiden Spüler- und Schnipslerkollegen Osein und Mbeki sehen wollte. Bei der Überprüfung aller Anwesenden fiel außerdem auf, dass gegen den Sous-Chef ein Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorlag. Als ich eben jenen Sous-Chef Monate später zufällig vor einem Automatencasino traf, erzählte er mir, dass der Geschäftsführer mittlerweile wegen Untreue und Insolvenzverschleppung in U-Haft säße. Außerdem erwarte eine studentische Servicekraft ein Kind von
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