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Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)

Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Strohmeyer
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nie einen Menschen mit weißer Haut gesehen und sich deshalb über das Verbot hinweggesetzt. Heimlich war sie in die Berge hinaufgestiegen, um einen blanc zu sehen.
    Christine horchte auf. Irgendwo vor ihr im Wald hatte es geknackt. Im Nebel erschienen ihr die Silhouetten der Büsche und Felsen wie unheimliche Wesen, doch sie wusste, dass ihre Fantasie ihr nur einen Streich spielte. Dort war niemand.
    Ihre Gedanken schweiften wieder zu den Fremden in den Bergen. Ihnen zu begegnen, war zunächst beängstigend gewesen, doch dann hatte sich ihre Furcht schnell in Enttäuschung gewandelt. Sie war ganz nah an das Lager der blancs herangeschlichen, bis zum beißenden Zaun, der dort gespannt war. Unter einem Busch liegend hatte sie so lange gewartet, bis etwas geschah. Nach einer ganzen Weile waren zwei Gestalten aus einem der Gebäude herausgekommen. Sie hatten sich Zigaretten angezündet und sich in einer fremden Sprache unterhalten. Beängstigend war gewesen, dass sie von Kopf bis Fuß weiß waren. Sie trugen weiße Hosen und Hemden und komische Hauben, und ihre Haut war so blass wie die Knochen, welche die Mambo in ihrem Tempel zum Beschwören der Geister benutzte. Die Gestalten sahen aus wie die beiden leibhaftigen Todesgeister: der Kreuzsammler Ramassent-de-croix und General Fouillé, von dem es hieß, er durchwühle nachts die Gräber auf Friedhöfen.
    Am liebsten wäre Christine sofort weggelaufen, doch ihre Neugier war stärker gewesen. Und je länger sie den beiden weißhäutigen Wesen dabei zugesehen hatte, wie sie sich unterhielten und miteinander scherzten, desto klarer wurde ihr, dass dies keine Gèdè-Geister waren. Sie sahen zwar aus wie lebendig gewordene Skelette, entpuppten sich aber lediglich als Menschen. Männer aus Fleisch und Sehnen. Enttäuscht hatte Christine den Ort verlassen.
    Ein erneutes Geräusch holte sie zurück in die Wirklichkeit.
    War da ein Stöhnen zu hören?
    Nervös schaute Christine sich um. Der Nebel war inzwischen so dicht geworden, dass sie ihn schmecken konnte. Mit jedem Atemzug floss er über ihre Lippen in ihre Lungen; feucht und mit erdigem Aroma. Wie der Atem des Grabes, dachte sie und erschauerte. Schnell setzte sie sich in Bewegung.
    Als der Weg endlich bergab führte, begann sie zu laufen. Das Klatschen der abgetragenen Sohlen ihrer Sandalen auf dem harten Boden vereinte sich mit ihrem hämmernden Herzschlag. Es war nicht mehr weit bis zu der Stelle, an welcher der Pfad wieder auf die Straße führte. Von dort aus konnte man das Dorf schon sehen. Nur noch durch die schmale Schlucht und über den kahlen Buckel und dann …
    Plötzlich stand eine Gestalt vor ihr, ragte wie ein Grabstein aus der Erde.
    Erschrocken bremste Christine ihren Lauf, um nicht mit ihr zusammenzuprallen. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und fiel hintenüber. Sie wollte ihren Sturz abfangen, doch ihre schmalen Handgelenke knickten einfach weg. Ein stechender Schmerz schoss ihre Arme hinauf, und das neue Kleid landete im Schmutz. Tränen traten Christine in die Augen. Mit bebenden Lippen sah sie auf. Sie musste blinzeln, um durch den Tränenschleier etwas erkennen zu können.
    Vor ihr stand ein Mann. Ein schwarzer Mann, doch seine Haut wirkte auf merkwürdige Weise weniger schwarz, sondern eher grau. Eine totengleiche Blässe überzog seine Arme und Hände, fast wie bei einem blanc . Er war bis auf die Knochen abgemagert und trug zerschlissene Kleidung, die von seinen Gliedmaßen hing wie zerfetzte Mullbinden. Seine Haltung war gebeugt, sein Gesicht mit Beulen übersät und entstellt.
    Leicht schwankend, als hätte er zu viel Clairin getrunken, kam er auf Christine zu. Ein Arm hob sich ihr mechanisch entgegen und ein undefinierbarer Laut drang aus seiner Kehle. Verwesungsgeruch stieg ihr in die Nase.
    Hastig rappelte Christine sich auf und wischte sich über die Augen, um besser sehen zu können.
    Ihr Atem stockte.
    Noch mehr Tränen quollen aus ihren Augen.
    „Papa?“, hauchte sie ungläubig, als der feuchte Nebel ihr wieder Luft zum Atmen gab.
    Der Mann, in dem sie ihren Vater erkannte, sagte nichts. Seine Augen waren milchig trüb wie bei einem kranken Hund und starrten an ihr vorbei. Aus seinem Mund troff gelblicher Speichel. Er machte einen weiteren schwankenden Schritt auf sie zu. Seine Finger mit den zersplitterten Nägeln bogen sich zu Krallen.
    „Papa?”
    Plötzlich schoss eine Hand vor und legte sich um Christines Hals.
    „Papa! Was machst du?“, brachte sie mit Mühe hervor. Entsetzt

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