Oneiros: Tödlicher Fluch
wie das Bestattungsunternehmen in dem komödiantischen Horrorfilm mit Vincent Price, Peter Lorre und Boris Karloff. Mit deren mörderischen Methoden hatten sie jedoch nichts zu tun.
»Dann mal los, die Herrschaften. Oder gibt es noch Unklarheiten? Ich bin ab übermorgen wieder auf Reisen, aber über Handy erreichbar.«
In dem kleinen Büro wurden die Köpfe geschüttelt.
Die elf Damen und Herren passten kaum in das Zimmer, die meisten mussten stehen. Sie waren eben gemeinsam die Wochenliste durchgegangen: eine Handvoll regulärer Bestattungen auf den hiesigen Friedhöfen, zwei Überführungen ins Ausland, zwei Seebestattungen, davon eine im Atlantik und eine in der Ostsee; dazu kam die 24 -Stunden-Abrufbereitschaft für neue Todesfälle.
In Leipzig starben jedes Jahr um die 5600 Menschen, das machte im Schnitt pro Tag fünfzehn Tote. Eine Beerdigung kostete zirka 5000 Euro. Viel Arbeit und hohe Einkommenschancen also, weshalb die Zahl der ansässigen Bestatter auch entsprechend hoch war. Das wiederum reduzierte das Einkommen.
Das
Ars Moriendi
hatte einen sehr guten Ruf. Dank ihm, dem jungen Chef mit den guten Ideen und der ruhigen Hand, die auch außerhalb Leipzigs ein hohes Ansehen besaß. Deshalb bekam er regelmäßig Aufträge in ganz Europa, was ihm einen Bonus und bezahlte Reisen bescherte.
»Bestens. Dann einen schönen Tag.« Konstantin sah zu den beiden jungen Männern, die sich als Erste erhoben. »Maik, Florian, ihr fahrt raus, wenn wir einen Auftrag reinbekommen. Geht das klar?«
Sie nickten.
»Und prüft nochmals die Kühlung von Wagen vier für die Überführung an den Atlantik. Es soll die ganze Woche heiß werden, und die Fahrtstrecke dauert mit dem Transporter zwei Tage. Könnte sonst eine böse Überraschung werden, wenn ihr Monsieur Contignac aus dem Sarg holt.« Konstantin erhob sich, während seine Leute einer nach dem anderen verschwanden und sich an die Arbeit machten.
Ich habe schon gute Mitarbeiter.
Er trank seinen Tee im Stehen aus und beobachtete durch das Fenster zum Fuhrpark, wie sie sich auf die Fahrzeuge verteilten. Gestecke abholen, Bestattungen an verschiedenen Orten vorbereiten, Papierkram und vieles mehr gehörte zu ihrer Routine, und alle Arbeiten wurden mit aller Würde erledigt, wie es sich gehörte.
Konstantins Name stand im Gegensatz zu dem mancher Kollegen nicht für Abzocke, für überteuerte Preise oder einen laxen, unpassenden Umgang mit den Verstorbenen. Eine Leiche mochte streng genommen nur eine seelenlose Hülle sein, aber sie war einmal ein geliebtes Elternteil, ein geliebtes Kind oder ein geliebter Freund gewesen.
Sein Blick fiel auf sein Spiegelbild im Glas.
Ich sollte dringend zum Frisör.
Die dunkelbraunen Haare kitzelten im Nacken und weigerten sich trotz Wachs, in der Form zu bleiben, die er wollte. Dennoch: Für einen Mann von knapp vierzig Jahren sah er noch erstaunlich gut aus. Die meisten schätzten ihn auf Ende zwanzig, und das verdankte er nicht irgendwelchen Cremes oder Schönheitsoperationen. Wurde er nach seinem Geheimnis gefragt, antwortete er stets, dass der Tod ihn jung hielte. Und dass das Formalin, das er sich spritzte, besser als Botox sei. Bestatterhumor.
Die schwarzen Wagen rollten vom Hof, während Maik und Florian in die Werkstatt gingen.
Konstantin schlenderte ins Vorzimmer, wo Sekretärin Mendy Kawatzki saß und alles managte, was es zu managen gab, von Terminen bis zu Anträgen. »Meine Schönheit, wo bleibt der Bewerber?«
Mendy, eine Mitdreißigerin und die treue Seele des Unternehmens, sah über den Rand ihrer schwarzen Brille. »Warum haben Sie sich denn einen Bart stehenlassen? Sie sehen aus wie Johnny Depp in diesem Film …«
»Sie meinen hoffentlich nicht Jack Sparrow?«
»Nein. Sie wohnen zwar auch auf einem Schiff, aber ich meinte … wie hieß er denn?« Sie bemerkte einen offenen schwarzen Knopf an ihrer weißen Bluse und schloss ihn. »Mit der Jolie. In Venedig.«
»The Tourist.« Konstantin lächelte. Er hatte den Film gesehen und den Bart des Schauspielers gar nicht schlecht gefunden, was auch der Grund für sein verändertes Aussehen war. Johnny Depp glich er aber wirklich nicht. Sein Gesicht war etwas länger, mit schlanken Wangen. »Steht er mir nicht?«
Mendy lächelte. »Doch. Aber immer wenn ich mich daran gewöhnt habe, wie Sie aussehen, verändern Sie etwas.« Sie zuckte mit den Schultern und zeigte auf den Bildschirm. »Der Azubi-Anwärter hat eine Mail geschickt. Er kommt eine halbe Stunde
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