Oneiros: Tödlicher Fluch
später, weil er noch ein Zeugnis besorgen muss.«
Konstantin brummte unzufrieden. »Das fällt ihm aber früh ein.« Er trat zu der Tür, die durch einen nüchternen Flur in den Arbeitsraum führte. »Schicken Sie ihn gleich zu mir, wenn er kommt. Ich fange schon mal an.«
Sie sah ihn prüfend an. »Aber nicht die harte Tour, oder?«
Er musste lachen. »Sind Sie sein Fürsprecher, Frau Kawatzki?«
»Nein. Aber er sieht nett aus.«
»Und kommt zu spät. Dafür hätte er schon einen Blick auf Herrn Meininger verdient.« Konstantin grinste. »Dank Ihnen bleibt ihm das erspart.«
Die Behandlung von Herrn Meininger oder besser das, was von ihm übrig geblieben war, konnte man als hart verdientes Geld bezeichnen: Ein Mann im besten Alter, nach einer feuchtfröhlichen Nacht in einen Leipziger Kanal gefallen und darin ertrunken, von der Strömung sanft entführt und nach Wochen von entsetzten Spaziergängern an einer Böschung gefunden. Nach der Freigabe durch die Polizei hatten die Angehörigen von Herrn Meininger seine aufgedunsene, gewässerte und von Pathologieskalpellen zerschnittene Leiche durch das
Ars Moriendi
abholen lassen.
Der Anblick und vor allem die Gerüche von Herrn Meininger dürften selbst den hartgesottensten Bewerber in Ohnmacht fallen lassen. Es sei denn, er müsste sich vorher mehrfach übergeben; dann könnte ein Malheur ins andere übergehen.
Konstantin zeigte auf seine Uhr. »Aber wenn er mehr als eine halbe Stunde zu spät ist, hat er verloren. Dann gibt es die harte Tour.«
Er verschwand durch die Tür und ging den gekachelten Korridor entlang, in dem es leicht nach Desinfektionsmittel roch und der in den eigentlichen Arbeitsbereich führte. Die zwei Welten von
Ars Moriendi.
Den Namen seiner Firma hatte er nicht zufällig gewählt oder weil sich eine Bezeichnung auf Lateinisch schicker anhörte als
Bestattungsunternehmen
oder
Pietät.
Übersetzt bedeutete es
die Kunst des Sterbens
und bezog sich einerseits auf die christlichen Bücher, die im späten Mittelalter entstanden und den Menschen im christlichen Sinn auf den Tod vorbereiten sollten, zum anderen auf den Umgang mit den Toten und deren Herrichtung für eine angemessene, würdevolle Beisetzung.
Nicht zuletzt war das Sterben für Konstantin tatsächlich eine Kunst.
Die Literatur überbot sich mit verschiedenen Mythen von Unsterblichen wie Zombies, Vampire, Seelenlose, es gab Flüche, Tinkturen, Alchemie, Magie, göttliches Wirken, Teufelspakte und vieles mehr.
Er dagegen hatte eine ganz eigene, besondere Art, mit dem Schnitter umzugehen.
Konstantin betrat die Umkleide, tauschte die schwarze Stoffhose und das schwarze Polohemd gegen einen gleichfarbigen Trainingsanzug. Hundert Prozent reinstes Polyester, denn nur aus dem Kunststoff ließen sich Gerüche und Flecken restlos auswaschen. Außerdem war er billiger zu ersetzen als Kleidung aus Baumwolle.
Über den Anzug kam eine langarmige, weiße Schürze, danach die lilafarbenen Kautschukhandschuhe für die Finger. Die bequemen Turnschuhe erhielten folienartige Überzieher.
Es kann losgehen.
Konstantin schritt durch die Schwingtür und betrat seinen Arbeitsplatz.
Als Erstes schaltete er den MP 3 -Spieler ein. Der Zufallsgenerator wählte einen Song aus, und schon drang aus den Boxen der Mix aus getragenem, schwerem Stehbass und Synthie-Elementen der Leipziger Band Lambda. Die wundervolle Stimme der Sängerin erfüllte den fünfundzwanzig Quadratmeter großen, gefliesten Raum mit einem Liebeslied. Manche hätten die Musik vielleicht als unpassend empfunden, aber für Konstantin stand sie nicht im Widerspruch zu dem, was er im Begriff war zu tun.
Sein Reich, sein Arbeitsplatz. Zwei höhenverstellbare Metalltische mit Abflusssystem und Handbrause standen in der Mitte, an der linken Wand führte ein Durchgang zur Kühlkammer. In einer Ecke befand sich eine große Spüle mit einem Hängeschrank darüber, in dem die wichtigsten Utensilien lagerten, die Konstantin benötigte. Chirurgische Instrumente, Skalpelle, Scheren, Wundverschlusspulver, spezielles Sprühpflaster, Feuchtigkeitscreme. Dann gab es noch Tübchen mit Vaseline, Haarspraydosen und eine ganze Batterie von Make-up-Zubehör, Föhn sowie Bürste. Nicht zu vergessen Nähzeug und Fixierband. Jeder, der schon mal einen Krimi gesehen hatte, würde sich in der Pathologie oder in einem Operationssaal glauben.
Es gehörte zum Service des
Ars Moriendi,
die Toten herzurichten, sie zu waschen, einzucremen und anzukleiden,
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