Onkel Toms Hütte
man sie in Sandusky erwartete, hielten sie es für geraten, sich zu trennen. Jim ging mit seiner Mutter voraus; und zwei Nächte später ließen sich Georg und Eliza mit ihrem Kind gesondert nach Sandusky fahren, wo sie unter einem gastlichen Dach übernachteten, bevor sie ihre letzte Reise über den See antraten.
»Jetzt wäre es soweit«, sagte Eliza, als sie vor dem Spiegel stand und die seidene Fülle ihres schwarzen welligen Haares schüttelte. »Na, Georg, ist es nicht schade?« fragte sie, als sie es spielerisch hochhob, »ist es nicht schade, wenn alles herunter muß?«
Georg lächelte trübe und gab keine Antwort.
Eliza drehte sich zum Spiegel; die Schere blitzte, als sie eine lange Locke nach der anderen von ihrem Kopf abschnitt.
»Na also, das reicht«, meinte sie und nahm eine Haarbürste; »jetzt noch ein paar Striche. Da, bin ich nicht ein schmucker junger Bursche?« sagte sie und stellte sich lachend vor ihren Mann.
»Du bist immer hübsch, was du auch anstellst«, erwiderte Georg.
»Warum bist du so versonnen?« fragte Eliza, sich auf ein Knie niederlassend, und ergriff seine Hand. »Sie sagen, Kanada ist nur noch vierundzwanzig Stunden entfernt. Nur noch einen Tag und eine Nacht auf dem See, und dann – oh, dann!«
»Ach, Eliza!« antwortete Georg und zog sie an sich; »das ist es ja! Unser Schicksal spitzt sich jetzt auf diesen einen Punkt zu. So nahe zu sein, das Ziel so dicht vor Augen zu haben und es dann noch zu verlieren! Das könnte ich nicht ertragen, Eliza.«
»Du mußt nicht verzagt sein!« sprach seine Frau zuversichtlich. »Der liebe Gott würde uns nicht bis hierher geleitet haben, wenn er nicht gewillt wäre, uns durchzubringen. Ich fühle deutlich, wie er uns beisteht, Georg!«
»Du bist ein Segen, Eliza!« erwiderte Georg, sie krampfhaft umschlingend. »Ach, sag mir, kann uns diese Gnade wirklich zuteil werden? Soll dieses jahrelange Elend wirklich ein Ende haben? – Sollen wir frei werden?«
»Ich weiß es bestimmt, Georg«, antwortete Eliza und blickte auf zum Himmel, während Tränen der Hoffnung und Begeisterung an ihren langen, dunklen Wimpern glänzten. »In meinem Herzen fühle ich, daß Gott uns noch heute unsere Ketten abnehmen wird.«
»Dann will ich es auch glauben, Eliza«, sagte Georg und erhob sich plötzlich. »Ich will glauben; komm, machen wir uns fertig. Aber tatsächlich«, rief er, hielt sie auf Armeslänge von sich und betrachtete sie voller Bewunderung. »Du bist ein hübscher, kleiner Kerl. Die kurzen kleinen Löckchen stehen dir allerliebst. Setz die Mütze auf. So – ein bißchen auf die Seite. Du hast noch nie so hübsch ausgesehen. Aber jetzt wird es Zeit für den Wagen; ob Mrs. Smyth wohl Harry angezogen hat?«
Da ging die Tür auf, und eine ehrbare ältere Frau trat herein, den kleinen Harry in Mädchenkleidern an der Hand führend.
»Was ist das für ein hübsches kleines Mädchen geworden!« rief Eliza und drehte ihn um. »Wir werden ihn Harriet nennen, was? Der Name paßt so nett.«
Das Kind stand da und betrachtete ernsthaft die Mutter in ihrem neuen und seltsamen Aufzug, es sagte nichts, atmete nur tief und spähte verstohlen unter seinen dunklen Locken hervor.
»Kennt Harry seine Mama nicht mehr?« sagte Eliza und streckte die Arme nach ihm aus.
Das Kind schmiegte sich schüchtern an die andere Frau.
»Komm, Eliza, warum willst du ihn locken, du weißt doch, wir wollen ihn fernhalten?«
»Ich weiß, es ist töricht«, erwiderte Eliza, »aber es ist mir schrecklich, wenn er sich abwendet. Aber, komm – wo ist mein Mantel? Hier – wie tragen Männer ihren Mantel, Georg?«
»Du mußt ihn so tragen«, sagte ihr Mann und warf ihn über die Schulter.
»So also«, sagte Eliza und imitierte die Bewegungen; »und ich muß aufstampfen, große Schritte machen und keck aussehen.«
»Übernimm dich nicht«, riet ihr Georg. »Es gibt auch hin und wieder einen bescheidenen jungen Mann; die Rolle wird dir leichter fallen.«
»Und diese Handschuhe! Gott steh mir bei!« rief Eliza; »meine Hände verlieren sich darin.«
»Ich rate dir, behalte sie auf alle Fälle an«, sagte Georg, »dein schmales Pfötchen kann uns alle verraten. Also, Mrs. Smyth, Sie gehen jetzt zu uns und sind unsere Tante – nicht vergessen!«
»Ich habe gehört«, antwortete Mrs. Smyth, »daß Männer unten waren und alle Schiffskapitäne vor einem Mann und einer Frau mit einem kleinen Jungen gewarnt haben.«
»So, so«, sagte Georg. »Na, wenn wir die Leute sehen,
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