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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Lücken mehr geben, nur noch gleichmäßige, regelmäßige Schritte. Eine Lücke bedeutete das Fehlen eines Elementes. Von nun an kannte man die Reihenfolge der Elemente genau und wusste, dass es zweiundneunzig und nur zweiundneunzig an der Zahl waren - von Wasserstoff bis Uran. Nun war auch klar, dass es nur noch sieben fehlende Elemente zu finden galt. Die «Anomalien», die die Atomgewichte zeigten, waren geklärt: Tellur mochte ein etwas höheres Atomgewicht haben als Jod, trotzdem blieb es Element Nummer 52 und Jod Nummer 53. Entscheidend war die Ordnungszahl, nicht das Atomgewicht.
    Die Perfektion und Geschwindigkeit, mit der Moseley diese Untersuchung durchführte - innerhalb weniger Monate der Jahre 1913/1914 -, rief in der chemischen Community etwas gemischte Gefühle hervor. Einige der gestandenen Wissenschaftler fragten sich, was dieser Grünschnabel sich eigentlich einbilde. Der kam daher und behauptete, er habe das Periodensystem vervollständigt, und schloss einfach die Möglichkeit aus, dass es noch andere als die von ihm berücksichtigten Elemente gebe. Was wusste der schon von der Chemie - ihren langen, mühseligen Prozessen, den Destillationen, Filtrationen, Kristallisationen, die unter Umständen erforderlich waren, um ein neues Element zu isolieren oder eine neue Verbindung zu analysieren? Doch Urbain, einer der größten analytischen Chemiker aller Zeiten - ein Mann, der fünfzehntausend fraktionierte Kristallisationen durchgeführt hatte, um Lutetium zu isolieren -, erkannte augenblicklich die Bedeutung dieser Leistung an und vertrat die Auffassung, Moseleys Arbeit stelle keineswegs die Autonomie der Chemie in Frage, sondern erhärte das Periodensystem und bekräftige seine zentrale Bedeutung. «Das Gesetz von Moseley… hat in wenigen Tagen die Ergebnisse meiner zwanzigjährigen, geduldigen Arbeit bestätigt.»
    Ordnungszahlen wurden vorher benutzt, um die Reihenfolge der nach ihrem Atomgewicht aufgelisteten Elemente zu bezeichnen, doch Moseley verlieh der Ordnungszahl eine konkrete Bedeutung. Von nun an bezeichnete sie die Kernladung, sie verlieh dem Element eine chemisch absolute und unbezweifelbare Identität. Es gab zum Beispiel verschiedene Formen des Bleis - Isotope - mit verschiedenen Atomgewichten, aber alle hatten sie die gleiche Ordnungszahl 82. Blei war grundsätzlich, seiner innersten Natur nach, Nummer 82 und konnte diese Ordnungszahl nicht verändern, ohne aufzuhören, Blei zu sein. Wolfram war notwendigerweise, unabdingbar, Element 74. Doch wie verlieh ihm diese 74-heit seine Identität?
    Zwar hatte Moseley die wahre Zahl und Reihenfolge der Elemente gezeigt, trotzdem blieben noch eine Reihe grundsätzlicher Fragen offen, Fragen, die Mendelejew und die Wissenschaftler seiner Zeit beschäftigt hatten, Fragen, die Onkel Abe in jungen Jahren beschäftigten, Fragen, die nun mich beschäftigen würden, da die Freuden der Chemie, der Spektroskopie und des Spiels mit Radioaktivität eine Vielzahl von Warums eröffneten. Warum? Warum? Warum? Warum gab es überhaupt Elemente, und warum hatten sie genau diese Eigenschaften? Warum waren die Alkalimetalle und die Halogene auf ihre entgegengesetzte Art so außerordentlich aktiv? Was erklärte die Ähnlichkeit der seltenen Erden, die schönen Farben und magnetischen Eigenschaften ihrer Salze? Was erzeugte die unverwechselbaren und komplexen Spektren der Elemente und die numerischen Regelmäßigkeiten, die Balmer in ihnen entdeckt hatte? Was vor allem verlieh den Elementen ihre Stabilität, ihre Fähigkeit, im Laufe von Jahrmilliarden unverändert zu bleiben, nicht nur auf der Erde, sondern offenbar auch in der Sonne und den Sternen? Das war die Art von Fragen, die Onkel Abe vierzig Jahre zuvor als jungen Mann gequält hatten - doch 1913, so erzählte er mir, seien diese Fragen und Dutzende andere, die er sich habe, im Prinzip beantwortet gewesen. Plötzlich habe sich dem Verständnis eine neue Welt erschlossen.
    Rutherford und Moseley hatten sich vor allem auf den Kern der Atome konzentriert, seine Masse und die Einheiten der elektrischen Ladung. Doch offenbar wurden die chemischen Eigenschaften der Elemente und (anscheinend) auch viele ihrer physikalischen Eigenschaften von den kreisenden Elektronen, von deren Organisation und Bindung, bestimmt. Und an diesen Elektronen scheiterte Rutherfords Atommodell. Nach der klassischen, Maxwell'schen Physik konnte ein solches Sonnensystem-Modell des Atoms nicht stimmen, denn die Elektronen, die den

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