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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Nachrichten aus Hiroshima hörten. Merkwürdig gemischte Gefühle hatte ich, was die Atombombe anging. Unser Krieg war schließlich schon vorüber, der Tag des Sieges bereits Vergangenheit. Im Unterschied zu den Amerikanern hatten wir kein Pearl Harbor erlebt, nicht die schrecklichen Kämpfe in Guam und Saipan, wir hatten keinen direkten Krieg gegen die Japaner geführt. Irgendwie erschienen die Atombomben als schreckliches Postskriptum zum Krieg, eine entsetzliche Machtdemonstration, die vielleicht nicht mehr nötig gewesen wäre.
    Und doch empfand ich wie viele andere ein Gefühl des Triumphs angesichts der wissenschaftlichen Leistung der Atomspaltung, und ich verschlang den Smyth-Report, der im August 1945 erschien und die Herstellung der Bombe in allen Einzelheiten beschrieb. Den ganzen Schrecken der Bombe begriff ich erst im folgenden Sommer, als John Herseys «Hiroshima»-Artikel in einem Sonderdruck des New Yorker veröffentlicht wurde (Einstein soll tausend Exemplare dieser Ausgabe gekauft haben) und bald darauf im dritten Programm der BBC gesendet wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Physik und Chemie für mich nur ein Gegenstand reinen Vergnügens und Staunens gewesen, und vielleicht war ich mir ihrer zerstörerischen Kräfte nicht genügend bewusst gewesen. Die Atombombe erschütterte mich wie alle anderen. Man spürte, Atom- und Kernphysik konnten nie wieder die Unschuld und Unbekümmertheit zurückgewinnen, die sie in den Tagen von Rutherford und den Curies besessen hatten.
KAPITEL VIERUNDZWANZIG

STRAHLENDES LICHT
    Wie viele Elemente brauchte Gott, um ein Universum zu schaffen? Im Jahr 1815 waren rund fünfzig bekannt, und wenn Dalton Recht hatte, bedeuteten sie fünfzig verschiedene Arten von Atomen. Doch Gott würde gewiss nicht fünfzig verschiedene Bausteine für sein Universum brauchen - er würde es bestimmt ökonomischer konstruieren. Als William Prout, einem chemisch gesonnenen Arzt aus London, auffiel, dass Atomgewichte fast ganzzahlig und daher Vielfache des Atomgewichts von Wasserstoff waren, äußerte er die Vermutung, Wasserstoff sei das Urelement und alle anderen Elemente aus ihm aufgebaut. Gott habe also nur ein Atom erschaffen müssen und alle anderen seien durch natürliche «Kondensation» aus diesem einen hervorgegangen.
    Leider stellte sich heraus, dass einige Elemente gebrochenzahlige Atomgewichte besaßen. Man konnte ein Gewicht abrunden, das etwas größer oder etwas kleiner als eine ganze Zahl war (wie es Dalton tat), aber was sollte man beispielsweise mit Chlor anfangen, das ein Atomgewicht von 35,5 hatte? Damit ließ sich Prouts Hypothese schwer aufrechterhalten, und weitere Schwierigkeiten ergaben sich, als Mendelejew sein Periodensystem entwickelte. Beispielsweise musste Tellur, chemisch betrachtet, vor Jod kommen, doch sein Atomgewicht war nicht kleiner, sondern größer. Das verursachte erhebliche Probleme, trotzdem wurde Prouts Hypothese während des 19. Jahrhunderts nie ganz ad acta gelegt - sie war so elegant, so einfach, dass viele Chemiker und Physiker glaubten, sie müsse eine wesentliche Wahrheit enthalten.
    Gab es vielleicht eine atomare Eigenschaft, die ganzzahliger, fundamentaler war als das Atomgewicht? Diese Frage ließ sich erst klären, als man die Möglichkeit hatte, das Atom zu «sondieren», vor allem seinen zentralen Bestandteil, den Kern. Ein Jahrhundert nach Prout, 1913, begann Harry Moseley, ein hochbegabter junger Physiker, der bei Rutherford arbeitete, Atome mit der gerade entwickelten Technik der Röntgenspektroskopie zu erforschen. Seine Versuchsanordnung bewies kindlichen Charme: Moseley ließ einen Spielzeugzug, der in jedem Waggon ein anderes Element geladen hatte, in einer Vakuumröhre von einem Meter Länge fahren und beschoss jedes Element mit Kathodenstrahlen, damit sie charakteristische Röntgenstrahlen emittierten. Als er die Beziehung zwischen den Quadratwurzeln der Frequenzen und den Ordnungszahlen der Elemente in einem Diagramm darstellte, erhielt er eine gerade Linie; eine andere Darstellungsform zeigte, dass die Frequenzzunahme beim Übergang von einem Element zum nächsten in deutlich abgegrenzten, diskreten Schritten oder Sprüngen erfolgte. Darin offenbare sich eine fundamentale Eigenschaft der Atome, glaubte Moseley, und diese Eigenschaft müsse die Kernladung sein.
    Dank seiner Entdeckung war Moseley in der Lage, eine vollständige «Anwesenheitsliste» aufzustellen (wie Soddy es formulierte). In der Aufstellung durfte es keine

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