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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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mischen konnte, während die Mischung bei der kleinsten Andeutung von weißem Licht augenblicklich explodiert wäre. Und es zeigte sich genauso in Onkel Daves Mineralienschrank, wo man Phosphoreszenz oder Fluoreszenz mit blauem oder violettem Licht hervorrufen konnte, nicht aber mit dem stärksten roten Licht. Schließlich gab es noch die Fotozellen, die Onkel Abe im Haus hatte. Die konnte man durch einen winzigen Strahl blauen Lichtes aktivieren, und wenn man sie mit rotem Licht überflutete, zeigten sie nicht die geringste Reaktion. Wieso war eine riesige Menge roten Lichts weniger wirksam als eine kleine Menge blauen Lichts? Erst nachdem ich etwas von Bohr und Planck gelernt hatte, wurde mir klar, dass die Lösung dieser scheinbaren Paradoxa mit der Quantennatur von Strahlung und Licht und mit den Quantenzuständen des Atoms zu tun haben musste. Licht oder Strahlung wurde in winzigen Einheiten oder Quanten abgegeben, wobei deren Energie von ihrer Frequenz abhing. Ein Quant kurzwelligen Lichts - ein blaues Quant gewissermaßen - hatte mehr Energie als ein rotes, und ein Quant von Röntgen- oder Gammastrahlen verfügte über noch weit mehr Energie. Jede Atom- oder Molekülart - egal, ob vom Silbersalz in einer fotografischen Emulsion, ob vom Wasserstoff oder Chlor im Labor, vom Zäsium oder Selen in Onkel Abes Fotozellen oder vom Kalziumsulfid und vom Kalziumwolframat in Onkel Daves Mineralienvitrine - reagierte nur bei einem bestimmten Energieniveau. Diese Reaktion konnte schon durch ein einziges energiereiches Quant ausgelöst werden, während tausend energiearme Quanten völlig wirkungslos blieben.
    Als Kind dachte ich, Licht hätte immer eine bestimmte Form und Größe, wie die blumenartige Gestalt von Kerzenflammen, die an Magnolienknospen erinnerte, oder die leuchtenden Vielecke in den Wolframlampen meines Onkels. Erst als Onkel Abe mir sein Spinthariskop zeigte und ich die einzelnen Funken darin erblickte, wurde mir klar, dass Licht, alles Licht, von Atomen oder Molekülen stammte, die zunächst angeregt worden waren und dann in ihren Grundzustand zurückkehrten, wobei sie die Überschussenergie als sichtbare Strahlung abgaben. Von einem erwärmten Festkörper, etwa einem weißglühenden Draht, wurden Energien vieler Wellenlängen emittiert. Glühender Dampf, zum Beispiel Natrium in einer Natriumflamme, emittierte dagegen nur sehr spezifische Wellenlängen. (Das blaue Licht in einer Kerzenflamme, das mich als Jungen so fasziniert hatte, wurde, wie ich später erfuhr, von abkühlenden Di-Kohlenstoffmolekülen [C 2 ] erzeugt, die die bei der Erwärmung absorbierte Energie abgaben.)
    Doch die Sonne, die Sterne strahlten wie kein Stoff auf der Erde. Sie besaßen einen Glanz, eine Weiße, die noch die heißesten Glühlampen übertraf (einige, Sirius etwa, waren fast blau). Aus der Strahlungsenergie der Sonne ließ sich auf eine Oberflächentemperatur von rund 6000 Grad schließen. Onkel Abe erinnerte sich, dass in seiner Jugend niemand die enorme Weißglut und Energie der Sonne habe erklären können. Weißglut war kaum das richtige Wort, weil keine Verbrennung im herkömmlichen Sinne stattfand - die meisten chemischen Reaktionen hörten nämlich bei mehr als 1000 Grad auf.
    War möglicherweise die Gravitationsenergie, die Energie, die durch die Kontraktion einer gigantischen Masse erzeugt wurde, für die Sonnenstrahlung verantwortlich? Auch das schien eine vollkommen unzulängliche Erklärung für die ungeheure Hitze und Energie der Sonne und der Sterne zu sein, die seit Jahrmilliarden ungehindert anhielt. Selbst die Radioaktivität lieferte keine plausible Erklärung, weil radioaktive Elemente bei den Sternen nicht in annähernd ausreichenden Mengen vorhanden waren und ihr Energieausstoß zu langsam erfolgte.
    Erst 1929 kam eine andere Hypothese auf: Bei den unvorstellbaren Temperaturen und Drücken im Inneren eines Sterns könnten die Atome leichterer Elemente zu schwereren Atomen verschmelzen, wobei zunächst die Wasserstoffatome Helium bilden würden. Mit anderen Worten, man vertrat die Auffassung, die kosmische Energiequelle sei thermonuklear. Riesige Energiemengen mussten den leichten Kernen zugeführt werden, damit sie miteinander verschmolzen, doch sobald die Fusion vollzogen war, wurde noch mehr Energie freigesetzt. Diese erwärmte und verschmolz ihrerseits andere leichte Kerne, wodurch noch mehr Energie erzeugt wurde - ein Prozess, der für die Fortdauer der thermonuklearen Reaktion sorgte. Im Inneren

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