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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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pragmatisch prosaischen Schneeflächen hin, von denen das einst so üppig prangende Gefilde, das holde Angesicht der liebenden Mutter Erde bedeckt ist. Vor seinem schmerzlich heißen Atemhauche schmilzt aber da und dort, wohin er sich ergießt, der starre Schnee, und siehe da! – aus dem Schoße der Erde sprießen ihm frische grüne Keime entgegen, die aus den erstorben gewähnten alten Wurzeln neu und üppig emporschießen – bis die warme Sonne des nie alternden neuen Menschenfrühlings heraufsteigt, allen Schnee hinwegschmilzt und den Keimen die wonnigen Blumen entblühen, die mit lächelndem Auge froh die Sonne begrüßen. –
    Jenen alten Urwurzeln muß, wie den Wurzeln der Pflanzen und Bäume – solange sie noch in dem wirklichen Erdboden sich festzuhalten vermögen, eine immer neu zeugende Kraft inwohnen, sobald auch sie aus dem Boden des Volkes selbst noch nicht herausgerissen worden sind. Das Volk bewahrt aber unter der frostigen Schneedecke seiner Zivilisation, in der Unwillkür seines natürlichen Sprachausdruckes die Wurzeln, durch die es selbst mit dem Boden der Natur zusammenhängt, und jeder wendet sich ihrem unwillkürlichen Verständnisse zu, der aus der Hatz unseres staatsgeschäftlichen Sprachverkehres sich einer liebevollen Anschauung der Natur zukehrt und so dem Gefühle diese Wurzeln durch einen unbewußten Gebrauch von ihren verwandtschaftlichen Eigenschaften erschließt. Der Dichter ist nun aber der Wissende des Unbewußten , der absichtliche Darsteller des Unwillkürlichen; das Gefühl, das er dem Gefühle mitteilen will, lehrt ihn den Ausdruck, dessen er sich bedienen muß: sein Verstand aber zeigt ihm die Notwendigkeit dieses Ausdruckes. Will der Dichter, der so aus dem Bewußtsein zu dem Unbewußtsein spricht, sich Rechenschaft von dem natürlichen Zwange geben, warum er diesen Ausdruck und keinen anderen gebrauchen muß, so lernt er die Natur dieses Ausdruckes kennen, und in seinem Drange zur Mitteilung gewinnt er aus dieser Natur das Vermögen, diesen Ausdruck als einen notwendigen selbst zu beherrschen. – Forscht nun der Dichter nach der Natur des Wortes, das ihm von dem Gefühle als das einzige bezeichnende für einen Gegenstand, oder eine durch ihn erweckte Empfindung, aufgenötigt wird, so erkennt er diese zwingende Kraft in der Wurzel dieses Wortes, die aus der Notwendigkeit des ursprünglichsten Empfindungszwanges des Menschen erfunden oder gefunden ward. Versenkt er sich tiefer in den Organismus dieser Wurzel, um der gefühlszwingenden Kraft innezuwerden, die ihr zu eigen sein muß, weil sie aus ihr so bestimmend sich auf sein Gefühl äußert – so gewahrt er endlich den Quell dieser Kraft in dem reinsinnlichen Körper dieser Wurzel, dessen ursprünglichster Stoff der tönende Laut ist.
    Dieser tönende Laut ist das verkörperte innere Gefühl, das seinen verkörpernden Stoff in dem Momente seiner Kundgebung nach außen gewinnt, und zwar gerade so gewinnt, wie er sich – nach der Besonderheit der Erregung – in dem tönenden Laute dieser Wurzel kundgibt. In dieser Äußerung des inneren Gefühles liegt nun auch der zwingende Grund ihrer Wirkung durch Anregung des entsprechenden inneren Gefühles des anderen Menschen, an den jene Äußerung gelangt; und dieser Gefühlszwang, will ihn der Dichter auf andere so ausüben, wie er ihn selbst empfand, ermöglicht sich nur durch die vollste Fülle in der Äußerung des tönenden Lautes, in welchem sich das besondere innere Gefühl am erschöpfendsten und überzeugendsten einzig mitteilen kann.
    Dieser tönende Laut, der bei vollster Kundgebung der in ihm enthaltenen Fülle ganz von selbst zum musikalischen Tone wird, ist für die besondere Eigentümlichkeit seiner Kundgebung in der Sprachwurzel aber durch die Mitlauter bestimmt, die ihn aus einem Momente allgemeinen Ausdruckes zum besonderen Ausdrucke dieses einen Gegenstandes oder dieser einen Empfindung bestimmen. Der Konsonant hat somit zwei Hauptwirksamkeiten, die wir ihrer entscheidenden Wichtigkeit wegen genau zu beachten haben.
     
    Die erste Wirksamkeit des Konsonanten besteht darin, daß er den tönenden Laut der Wurzel zu bestimmter Charakteristik dadurch erhebt, daß er sein unendlich flüssiges Element sicher begrenzt und durch die Linien dieser Umgrenzung gewissermaßen seiner Farbe die Zeichnung zuführt, die ihn zur genau unterscheidbaren, kenntlichen Gestalt macht. Diese Wirksamkeit des Konsonanten ist demnach vom Vokale ab nach außen gewandt. Sie geht darauf

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