Oper und Drama
Prosa auszusprechen.
Es fehlt uns für den gesprochenen oder zu sprechenden Vers nämlich das Moment, das uns die Zeitandauer der Hebung in der Weise fest bestimmte, daß wir nach ihrem Maße die Senkungen wieder genau berechnen könnten. Wir können die Dauer einer akzentuierten Silbe nach unserem bloßen Aussprachevermögen nicht über die doppelte Dauer unbetonter Silben erstrecken, ohne der Sprache gegenüber in den Fehler des Dehnens oder – wie wir es auch nennen – Singens zu verfallen. Dieses »Singen« gilt da, wo es nicht wirklich zum tönenden Gesange wird und somit die gewöhnliche Sprache vollkommen aufhebt, in dieser gewöhnlichen Sprache mit Recht als Fehler; denn es ist als eine bloße tonlose Dehnung des Vokales, oder gar des Konsonanten, durchaus unschön. Dennoch liegt diesem Hange zum Dehnen in der Aussprache da, wo er nicht eine bloße dialektische Angewöhnung ist, sondern bei gesteigerter Erregtheit sich unwillkürlich zeigt, etwas zugrunde, was unsere Prosodiker und Metriker sehr wohl zu beachten gehabt hätten, wenn sie sich griechische Metren erklären wollten. Sie hatten nur unsern, von der Gefühlsmelodie losgelösten, hastigen Sprachakzent im Ohre, als sie das Maß erfanden, nach welchem allemal zwei Kürzen auf eine Länge gehen sollten; die Erklärung griechischer Metren, in denen zuweilen sechs und noch mehr Kürzen sich auf zwei oder auch nur eine Länge beziehen, hätte ihnen sehr leichtfallen müssen, wenn sie den im musikalischen Takte lang ausgehaltenen Ton auf der sogenannten Länge im Gehöre gehabt hätten, wie ihn jene Lyriker mindestens noch im Gehöre hatten, als sie zu bekannten Volksmelodien den Wortvers variierten. Dieser ausgehaltene, rhythmisch gemessene Ton ist es, den der Sprachversdichter jetzt aber nicht mehr im Gehör hatte, wogegen er nur noch den flüchtig verweilenden Sprachakzent kannte. Halten wir nun aber diesen Ton fest, dessen Dauer wir im musikalischen Takte nicht nur genau bestimmen, sondern auch nach seinen rhythmischen Bruchteilen auf das mannigfaltigste zerlegen können, so erhalten wir an diesen Bruchteilen die rhythmisch gerechtfertigten und nach ihrer Bedeutung gegliederten, melodischen Ausdrucksmomente für die Silben der Senkung, deren Zahl sich einzig nur nach dem Sinne der Phrase und der beabsichtigten Wirkung des Ausdruckes zu bestimmen hat, da wir im musikalischen Takte das sichere Maß gefunden haben, nach welchem sie zum unfehlbaren Verständnisse kommen müssen.
Diesen Takt hat der Dichter aber nach dem von ihm beabsichtigten Ausdrucke allein zu bestimmen; er muß ihn selbst zu einem kenntlichen Maße machen, nicht etwa als ein solches sich aufnötigen lassen. Als ein kenntliches bestimmt er es aber dadurch, daß er die gehobenen Akzente ihrem Charakter nach, ob starke oder schwächere, in der Art verteilt, daß sie einen Atem- oder Phrasenabschnitt, dem ein folgender zu entsprechen vermag, bilden und dieser folgende als notwendig für den ersten bedingt erscheint; denn nur in einer notwendigen, verstärkenden oder beruhigenden Wiederholung stellt sich ein wichtiges Ausdrucksmoment dem Gefühle verständlich dar. Die Anordnung der stärkeren und schwächeren Akzente ist daher maßgebend für die Taktart und den rhythmischen Bau der Periode. – Stellen wir uns eine solche maßgebende Anordnung, als aus der Absicht des Dichters sich herleitend, mit Folgendem vor.
Nehmen wir einen Ausdruck an, der von der Beschaffenheit ist, daß er einem Atem die Betonung von drei Akzenten gestattet, von denen der erste der stärkste, der zweite (wie meist immer in diesem Falle anzunehmen ist) der schwächere, der dritte dagegen wieder ein gehobener sein soll, so würde der Dichter unwillkürlich eine Phrase von zwei geraden Takten anordnen, von denen der erste auf seiner guten Hälfte den stärksten, auf seiner schlechten Hälfte den schwächeren, der zweite Takt auf seinem Niederschlage aber den dritten, wiederum gehobenen Akzent enthalten würde. Die schlechte Hälfte des zweiten Taktes würde zum Atemholen und zum Auftakte des ersten Taktes der zweiten rhythmischen Phrase verwendet werden, welche eine entsprechende Wiederholung der ersten enthalten müßte. In dieser Phrase würden die Senkungen sich so verhalten, daß sie als Auftakt zu dem Niederschlage des ersten Taktes hinaufstiegen, als Nachtakt von diesem zu der schlechten Takthälfte hinabfielen und von dieser als Auftakt zu der guten Hälfte des zweiten Taktes wieder hinaufstiegen. Die durch
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