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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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nur dadurch kenntlich, daß sie unter sich in einer Beziehung stehen, die wiederum durch die kleineren zwischenliegenden Bruchteile des Taktes vermittelt und verdeutlicht wird. Gute und schlechte Takthälfte, sobald sie ganz nackt nebeneinander stehen – wie in der kirchlichen Choralmelodie – könnten an sich nur dadurch dem Gefühle sich kenntlich machen, daß sie sich ihm als Hebung und Senkung des Akzentes darstellten, wodurch die schlechte Takthälfte in der Periode den Akzent vollkommen verlieren müßte und als solcher gar nicht mehr gelten könnte: nur dadurch, daß die zwischen der guten und schlechten Takthälfte liegenden Taktbruchteile rhythmisch zum Leben und zum Anteile an dem Akzente der Takthälften gebracht werden, läßt sich auch der schwächere Akzent der schlechten Takthälfte als Akzent zur Wahrnehmung bringen. – Die akzentuierte Wortphrase bedingt nun aus sich die charakteristische Beziehung jener Taktbruchteile zu den Takthälften, und zwar aus den Senkungen des Akzentes und dem Verhältnisse dieser Senkungen zu den Hebungen. Die an sich unbetonten Worte oder Silben, die wir in die Senkung setzen, steigen im gewöhnlichen Sprachausdrucke durch anschwellende Betonung zum Hauptakzente hinauf und fallen von diesem durch abnehmende Betonung wieder herab. Der Punkt, bis zu dem sie herabfallen und von dem sie von neuem zu einem Hauptakzente wieder hinaufsteigen, ist aber der schwächere Nebenakzent, der – wie dem Sinne der Rede, so auch ihrem Ausdrucke gemäß – durch den Hauptakzent bedingt wird wie der Planet durch den Fixstern. Die Zahl der vorbereitenden oder nachfallenden Silben hängt allein von dem Sinne der dichterischen Rede ab, von der wir annehmen, daß sie sich in höchster Gedrängtheit ausdrückt; je notwendiger aber dem Dichter es erscheint, die Zahl der vorbereitenden oder nachfallenden Silben zu verstärken, desto charakteristischer vermag er dadurch den Rhythmos zu beleben und dem Akzente selbst besondere Bedeutung zu geben – wie er auf der anderen Seite den Charakter der Akzente wiederum dadurch besonders zu bestimmen vermag, daß er ihn ohne alle Vorbereitung und Nachfall dicht neben den folgenden Akzent setzt.
    Sein Vermögen ist hierin unbegrenzt mannigfaltig: vollkommen kann er sich dessen aber nur bewußt werden, wenn er den akzentuierten Sprachrhythmos bis zum musikalischen, von der Tanzbewegung unendlich mannigfaltig belebten, Rhythmos steigert. Der rein musikalische Takt bietet dem Dichter Möglichkeiten für den Sprachausdruck dar, denen er für den nur gesprochenen Wortvers von vornherein entsagen mußte. Im nur gesprochenen Wortverse mußte der Dichter sich darauf beschränken, die Zahl der Silben in der Senkung nicht über zwei auszudehnen, weil bei drei Silben der Dichter es nicht hätte vermeiden können, daß eine dieser Silben bereits als Hebung zu betonen gewesen wäre, was seinen Vers natürlich sogleich über den Haufen geworfen hätte. Diese falsche Betonung hätte er nun nicht zu fürchten gehabt, sobald ihm wirkliche prosodische Längen und Kürzen zu Gebote gestanden hätten; da er aber die Betonungen nur auf den Sprachakzent verlegen konnte und dieser dem Verse zulieb als auf jeder Wurzelsilbe möglich angenommen werden mußte, so konnte er über kein kenntliches Maß verfügen, welches den wirklichen Sprachakzent so unfehlbar nachgewiesen hätte, daß nicht auch Wurzelsilben, denen der Dichter keine Betonung beigelegt wissen wollte, mit dem Sprachakzente belegt worden wären. Wir sprechen hier natürlich von dem geschriebenen, durch die Schrift mitgeteilten und der Schrift nachgesprochenen Verse: den, der Literatur unangehörigen, lebendigen Vers haben wir aber ohne rhythmisch-musikalische Melodie gar nicht zu verstehen, und wenn wir die auf uns gekommenen Monumente der griechischen Lyrik ins Auge fassen, so erfahren wir gerade an diesen, daß der von uns nur noch gesprochene griechische Vers, wenn wir ihn nach unwillkürlicher Sprachakzentuation aussprechen, uns eben die Verlegenheit bereitet, Silben durch den Akzent zu betonen, die in der wirklichen rhythmischen Melodie, als im Auftakte mit inbegriffen , an sich unbetont blieben. In dem bloß gesprochenen Verse können wir nicht mehr als zwei Silben in der Senkung verwenden, weil uns mehr als zwei Silben sogleich den richtigen Akzent entrücken würden und wir bei der hieraus erfolgenden Auflösung des Verses uns sogleich in die Notwendigkeit versetzt sehen müßten, ihn nur noch als flüchtige

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