Oper und Drama
hin, das vom Vokale zu Unterscheidende bestimmt von ihm abzusondern, zwischen ihm und dem zu Unterscheidenden sich gleichsam als Grenzpfahl hinzustellen. Diese wichtige Stellung nimmt der Konsonant vor dem Vokale, als Anlaut , ein; als Ablaut , nach dem Vokale, ist er insofern von minderer Wichtigkeit für die Abgrenzung des Vokales nach außen, als dieser in seiner charakteristischen Eigenschaft sich bereits vor dem Mitklingen des Ablautes kundgegeben haben muß und dieses somit mehr aus dem Vokale selbst als sein ihm notwendiger Absatz bedingt wird; wogegen er allerdings dann von entscheidender Wichtigkeit ist, wenn der Ablaut durch Verstärkung des Konsonanten den vorlautenden Vokal in der Weise bestimmt, daß der Ablaut selbst zum charakteristischen Hauptmomente der Wurzel sich erhebt.
Auf die Bestimmung des Vokales durch den Konsonanten kommen wir nachher zurück; für jetzt haben wir die Wirksamkeit des Konsonanten nach außen uns vorzuführen, und diese Wirksamkeit äußert er am entscheidendsten in der Stellung vor dem Vokale der Wurzel, als Anlaut. In dieser Stellung zeigt er uns gewissermaßen das Angesicht der Wurzel, deren Leib als warmströmendes Blut der Vokal erfüllt und deren, dem betrachtenden Auge obliegende, Rückseite der Ablaut ist. Verstehen wir unter dem Angesichte der Wurzel die ganze physiognomische Außenseite des Menschen, die uns dieser beim Begegnen zuwendet, so gewinnen wir eine genau entsprechende Bezeichnung für die entscheidende Wichtigkeit des konsonierenden Anlautes. In ihm zeigt sich uns die Individualität der begegnenden Wurzel zunächst, wie der Mensch zunächst durch seine physiognomische Außenseite uns als Individualität erscheint, und an diese Außenseite halten wir uns so lange, bis das Innere durch breitere Entwickelung sich uns hat kundgeben können. Diese physiognomische Außenseite der Sprachwurzel teilt sich – sozusagen – dem Auge des Sprachverständnisses mit, und diesem Auge hat sie der Dichter auf das wirkungsvollste zu empfehlen, der, um von dem Gefühle vollständig begriffen zu werden, seine Gestalten dem Auge und dem Ohre zugleich vorzuführen hat. Wie nun aber das Gehör eine Erscheinung unter vielen anderen als kenntlich und Aufmerksamkeit fesselnd nur dadurch fassen kann, daß sie sich ihm in einer Wiederholung vorführt, die den anderen Erscheinungen eben nicht zuteil wird, und durch diese Wiederholung ihm als das Ausgezeichnete hinstellt, das als ein Wichtiges seine vorzügliche Teilnahme erregen soll, so ist auch jenem »Auge« des Gehöres die wiederholte Vorführung der Erscheinung notwendig, die sich als eine unterschiedene und bestimmt kenntliche ihm darstellen soll. Die nach der Notwendigkeit des Atems rhythmisch gebundene Wortphrase teilte ihren inhaltlichen Sinn nur dadurch verständlich mit, daß sie durch mindestens zwei sich entsprechende Akzente, in einem das Bedingende wie das Bedingte umfassenden Zusammenhange, sich kundgab. In dem Drange, das Verständnis der Phrase als eines Gefühls ausdruckes dem Gefühle zu erschließen, und im Bewußtsein, daß dieser Drang nur durch die erregteste Teilnahme des unmittelbar empfangenen sinnlichen Organes zu befriedigen ist, hat nun der Dichter die notwendigen Akzente des rhythmischen Verses, um sie dem Gehöre auf das wirkungsvollste zu empfehlen, in einem Gewande vorzuführen, das sie nicht nur von den unbetonten Wurzelwörtern der Phrase vollkommen unterscheidet, sondern diese Unterscheidung dem »Auge« des Gehöres auch dadurch merklich macht, daß es sich als ein gleiches , ähnliches Gewand beider Akzente darstellt. Die Gleichheit der Physiognomie der durch den Sprachsinn akzentuierten Wurzelworte macht diese jenem Auge schnell kenntlich und zeigt sie ihm in einem verwandtschaftlichen Verhältnisse, das nicht nur dem sinnlichen Organe schnell faßlich ist, sondern in Wahrheit auch dem Sinne der Wurzel innewohnt.
Der Sinn einer Wurzel ist die in ihr verkörperte Empfindung von einem Gegenstande; erst die verkörperte Empfindung ist aber eine verständliche , und dieser Körper ist sowohl selbst ein sinnlicher als auch ein nur von dem entsprechenden Gehörsinne entscheidend wahrnehmbarer. Der Ausdruck des Dichters wird daher ein schnell verständlicher, wenn er die auszudrückende Empfindung zu ihrem innersten Gehalte zusammendrängt, und dieser innerste Gehalt wird in seinem bedingenden wie bedingten Momente notwendig ein verwandtschaftlich einheitlicher sein. Eine einheitliche Empfindung
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