Operation Blackmail
darüber
nachdachte, desto intensiver beschlich ihn das Gefühl, dass sie etwas übersehen
hatten. Ein winziges Detail. Es musste einfach einen versteckten Hinweis geben.
Vielleicht litt er auch an einer Art Lagerkoller in seinem überdimensionalen
Bett. Wie so oft in den letzten Tagen versuchte er, durch geschickte
Gewichtsverlagerung das Ziehen in seinen Beinen wenigstens etwas zu lindern,
obwohl er wusste, dass es nur ein paar Minuten nützte. Trotz der Schmerzen
griff er zu seinem Laptop und fing zum hundertsten Mal von vorne an. Also los,
Dominique. Noch einmal den Bericht der ehemaligen Kollegen aus Paris und
Solveighs forensische Untersuchung. Er las jede Zeile, jeden Buchstaben
einzeln. Als er sich den Erpresserbrief vornahm, traf ihn die Erkenntnis wie
ein Blitz aus heiterem Himmel. Wieso waren sie nicht früher darauf gekommen? Es
war absolut offensichtlich. Er lieà sich zurück ins Kopfkissen sinken.
Unglaublich. Wie hatten sie das übersehen können?
Viereinhalb Minuten später hatte Dominique einen Entschluss gefasst.
Oder besser: ihn sich eingestanden, denn wenn er ehrlich war, hatte er immer
gewusst, dass sein Weg hinaus aus der Lethargie dieses vermaledeiten Krankenzimmers
führte. Er musste sein Leben wieder in die Hand nehmen, je schneller, desto
besser. Sein Vater hatte ihm immer wieder gesagt: Wenn du vom Pferd fällst,
musst du sofort wieder aufsteigen. Sonst läufst du Gefahr, es niemals wieder zu
tun. Und genau das galt auch jetzt. Wieder in den Sattel, aufstehen und
agieren. So gut es eben ging. Er durfte hier nicht länger dahinvegetieren und
hoffen, dass sich seine Beine morgen einen halben und in zwei Wochen vielleicht
einen Zentimeter bewegten. Während sein Verstand verkümmerte und die Hoffnung
weiter schwand wie Wasser, das durch seine Hände rann. Wenn es schon mit dem
Laufen nicht voranging, dann wenigstens mit etwas anderem. Er rappelte sich auf
und griff nach seinen Krücken. Es war mittlerweile fast Viertel vor drei, und
eine bessere Zeit, um hier zu verschwinden, gab es nicht. Die Nachtschwester
versuchte bestimmt, etwas Schlaf zu bekommen, und auch sonst würde wohl niemand
durch die langen Gänge geistern.
Das Ankleiden war mühsam, und es kostete ihn fast eine halbe Stunde,
bis er endlich seine Beine in die enge Hose gefädelt hatte. T-Shirt, Pullover
und Jacke waren einfacher. Er dachte auch an seinen ECSB-Ausweis und seine
Jericho, die ihm Solveigh vorbeigebracht hatte. SchlieÃlich stopfte er noch den
Laptop in das Netz an der Rückenlehne des Rollstuhls und lieà sich
hineinfallen, die Krücken legte er sich quer über den SchoÃ. Befeuert von neuem
Tatendrang und von der Euphorie, eine Entscheidung getroffen zu haben, stieà er
die Tür seines Krankenzimmers auf und rollte mit kräftigen Schüben über den
Linoleumboden des Krankenhausflurs. Er musste seine Kollegen erreichen, ihnen
mitteilen, was er herausgefunden hatte. Dass es einfacher gewesen wäre, zum
Telefon zu greifen, kam ihm nicht einmal in den Sinn. Viel zu sehr war er
berauscht von seinem wichtigsten Ziel: endlich wieder im Sattel zu sitzen.
KAPITEL 49
Amsterdam, Zentrale der ECSB
Tag 11: Donnerstag, 17. Januar, 08:54 Uhr
Solveigh Lang fühlte sich wie ausgekotzt. AuÃerdem plagten
sie heftige Rückenschmerzen. Das improvisierte Bett des ECSB-Gefängnisses war
steinhart, und jedes Mal, wenn sie aufs Klo musste, hatte sie den bewaffneten
Beamten rufen müssen, der vor ihrer Tür Wache stand. Anfangs noch Pollux, den
sie sehr mochte, aber zu seiner Ablösung, einem hochgewachsenen Schweden, hatte
sie keinerlei Bezug. Sie wollte ihn gerade um einen Kaffee und wenigstens ein
trockenes Croissant bitten, als es an der Tür klopfte und Eddy in seinem
Rollstuhl hereinrollte. Mein Gott, freute sie sich, ihn zu sehen. Er drückte
ihr mit besorgter Miene eine braune Papiertüte in die Hand: »Hier, Slang.
Frühstück. Bagel und Kaffee, wie du es magst.«
»Danke, Eddy. Du bist der Beste. Darf ich aus deiner Trauermiene
schlieÃen, dass du keinen Erfolg hattest?«
»Du sagst es. Keine Chance, ich bin nicht mal an den Rechner
gekommen.«
Solveigh überlegte eine Sekunde und knuffte ihn dann in die Seite:
»Dafür kenne ich dich zu gut, Eddy. Hör auf, mich zu verarschen. Damit hättest
du nicht bis heute gewartet.«
Er antwortete mit einem breiten Grinsen: »Dir kann ich auch gar
nichts
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