Operation Blackmail
seinen Sitz und wartete auf den
Verräter.
Um 7:15 Uhr kam der Pressesprecher der EuroBank mit zwei groÃen
Rollkoffern aus dem Haus und ging zu seinem schmucken weinroten Cabriolet. Der
bald ehemalige Pressesprecher, wie Paul kalt lächelnd vermerkte. Diesmal konnte
er sich keinen Fehler mehr leisten. Wenn es Solveigh nicht gelang, den Namen
der Hintermänner aus Leonid herauszupressen, konnte sie nur Gessner zu ihrem
Täter führen. Und die Prognose der ECSB-Psychologen war düster. Ehemalige
KGB-Agenten waren ganz besonders gut darin geschult, bei Verhören standhaft zu
bleiben. Sie vermuteten, dass es Wochen dauern könnte, bis Leonid plauderte.
Und dann war es längst zu spät, das Geld war schon jetzt überall auf der Welt
verstreut, und das Mastermind stand im Begriff, sich abzusetzen, auch darin
waren sich die Profiler einig. Er sah, wie Philipp Gessners Wagen aus einer
Parklücke fuhr. Paul startete den Motor und heftete sich an seine Fersen.
Zwanzig Minuten später wusste Paul, wohin Gessner unterwegs war. Er
wählte die Nummer der ECSB, Eddy meldete sich nach dem ersten Klingeln: »Herr
Vanderlist, was gibtâs?« Sein Handy hatte hoffensichtlich die Nummer
übertragen.
»Gessner ist auf dem Weg zum Flughafen.«
»Keine Ãberraschung. Sie müssen unbedingt herausbekommen, welchen
Flug er nimmt und ob er sich am Flughafen mit jemandem trifft. Bleiben Sie
dicht an ihm dran, selbst der kleinste Kontakt könnte unser Mann sein.«
»Ich werde es versuchen«, antwortete Paul und legte auf. Wie er
schon an dem fehlenden Kaffee bemerkt hatte, war Personenverfolgung nicht
gerade ein Thema, bei dem er mit Expertenwissen glänzen konnte. Aber er würde
sein Bestes geben, ermunterte er sich, als er die lang gezogene Kurve zu den
Parkplätzen hinauffuhr.
Gessner nahm die Einfahrt zu Parkhaus 3. In der engen
ZufahrtsstraÃe, die sich wie ein Schneckenhaus durch die sechs Stockwerke wand,
hatte Paul Mühe, an ihm dranzubleiben. Die Reifen seines Wagens quietschten wie
Schweine auf dem Weg zur Schlachtbank. Von einem tieferen Punkt der Windung aus
beobachtete er, wie Gessner die Abfahrt zum vierten Stock nahm, wo ihn ein
grüner Pfeil auf über 200 freie Stellflächen hinwies. Als Pauls Kombi die
Zufahrt erreichte, stand Gessners Cabrio gerade an der Schranke für die dritte
Parkzone. Als der Maulwurf bei halb geöffneter Fahrertür umständlich sein
Ticket zog, brauste Paul an ihm vorbei. Er nahm die übernächste Ticketsäule und
parkte seinen Wagen so schnell wie möglich. Er musste Gessner unbedingt
erwischen, bevor er in einem der Fahrstühle verschwand. Paul rannte, bis er ihn
wieder im Blickfeld hatte, ständig darauf bedacht, parkende Autos oder eine
Säule als Deckung zu nutzen. Wenn der Pressesprecher hier unvermittelt einen Kollegen
traf, würde er sofort Lunte riechen. Paul verfluchte sich, dass er nicht daran
gedacht hatte, etwas mitzunehmen, das sein ÃuÃeres veränderte. Er trug zwar
eine dicke Daunenjacke, die er niemals im Büro angezogen hätte, aber würde das
reichen? Er nahm sich vor, bei der erstbesten Gelegenheit zumindest eine
Sonnenbrille zu erstehen.
Als Gessner in den Fahrstuhl stieg, rannte Paul zum Treppenhaus und
hetzte die Treppen hinunter, um vor ihm unten anzukommen. Es gab nur zwei
Möglichkeiten: das Level für Ankunft oder das für Abflug. Paul musste beide
schneller erreichen als die Kabine. Er geriet ins Schwitzen, ein Anflug von
Panik erfasste ihn. Traf Gessner vielleicht schon im Fahrstuhl den Hintermann,
und er hatte keine Chance, es zu bemerken? Bleib einfach an ihm dran, Paul,
ermahnte er sich. Das ist das Beste, was du tun kannst. Die groÃe Preisfrage
war: Würde das Beste gegen einen perfekten Plan ausreichen? Oder waren die
500000000 Euro unwiederbringlich verloren? Egal. Paul nahm drei Stufen auf
einmal, um Gessner unten abzupassen.
KAPITEL 69
Schlosshotel Fuschlsee, Ãsterreich
Tag 16: Dienstag, 22. Januar, 08:05 Uhr
Leonid Mikanas saà gefesselt auf einem schlichten Holzstuhl,
seine Handgelenke schmerzten von den eng angezogenen Handschellen. Die Frau,
die statt Heinkel in dem Bett gelegen hatte, stand breitbeinig vor ihm. Sie
hatte Augen wie ein zugefrorener See, hell und kalt, einen schmalen Mund und
den austrainierten Körper einer Langstreckenläuferin. Seit zweieinhalb Stunden
stellte sie ihm dieselbe Frage: Wer war das Mastermind?
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