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Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: York Pijahn
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Echte«-Opa: Das Mixtape war
einzigartig, denn es war das Ergebnis harter Arbeit, die strengen Regeln folgte. Niemals die gleiche Gruppe zweimal auf der gleichen Seite aufnehmen, das erste Lied muss ein Knaller sein, aber nicht schon das beste der Kassette. Die Hülle muss selbst gebastelt sein. Eine ganze Generation beherrschte es, die Liedtitel in ameisengroßen Buchstaben auf die Rückseite zu schreiben. Kann man Duran Duran auf einen Quadratzentimeter quetschen? Man kann.
    Und innen drin? ABC, Pet Shop Boys, Housemartins, jede Kassette ein musikalisches Bekenntnis. Wer nicht für uns ist, ist dagegen. Madonna ja, Cyndi Lauper nein, Prince ja, Michael Jackson nein, Rolling Stones ja, Beatles nein. Nach dreimaligem Hören wusste man: Nach »Don’t You« kommt »Shout«, es konnte nicht anders sein. Da Spulen mühsam war, kam immer gleich die ganze Seite aus den Boxen, ein D-Zug aus Musik. Ganz oder gar nicht. Gesamtkunstwerk statt Wunschkonzert.
    Illu. 3

    Und erinnern Sie sich an die Geräusche? An das »Tschröpp!«, wenn sich der Deckel des Kassettenrecorders schmatzend schließt. »liiiah-lllh!«, wenn der Recorder das Band vorspult. »Frab-Pup!«, wenn der Zeigefinger die Pausentaste
loslässt. »Record« und »Play« sind gedrückt: ein Rauschen aus den Boxen. Band läuft. Mixtapes waren und sind mehr als Tonträger, vor allem für die meisten Jungs, die jetzt Männer sind. Denn Kassetten waren Liebesbriefe aus Klang. 30 Lieder, die nur einen Zweck hatten. Um Mädchen, die jetzt Frauen sind, zu sagen: »Ich finde dich toll.« Warum stammeln, wenn andere gut singen.
    Und noch eine Botschaft steckte in den Tapes: »Wenn du mit mir zusammen bist, bekommst du den Typen mit der geilsten Plattensammlung ab.« Dann die Katastrophe: Wenn man schließlich merkte, dass man an die »Mono-Taste« gekommen war oder dass der Recorder das Band mit einem schrillen Schredder-Geräusch auffraß. Mangia cassette , Kassettenfresser - so heißen Recorder noch immer in Italien.
    Kassetten waren Liebesbriefe aus Klang. Dafür kniete man drei Stunden in Büßerstellung vor der Stereoanlage.
    Mixtape, Antidepressivum aus Plastik. Was gibt es Besseres, als sich selbst, frisch verlassen oder einfach nur niedergeschlagen, eine Kassette aufzunehmen. Einen Soundtrack fürs eigene Leben. Don’t you? Shout! Brauner Bär, dein Karamellkern wird überschätzt, bleib in deiner Kühltruhe. Mixtape, bleib bei mir, ich nehm dich auf. Record.

Besuch vom anderen Stern: 48 Stunden mit meiner Mama
    Illu. 4

    W A-BUMPA! WA-BUMPA! Können Sie das hören? Das ist mein Herz. Ich stehe auf dem Bahnsteig im Hamburger Dammtor-Bahnhof, und es fühlt sich an, als sei ich zwölf, nicht 35. Ich warte. Auf Mama. Die einmal im Jahr vorbeikommt, um … Ja, wozu eigentlich? »Um zu sehen, wie es dir geht, Mäuselein!«, sagt die knapp 70-Jährige. Und zwar so laut, dass es alle hören, die es wollen. Und alle anderen auch. Weißes Haar, blaue Augen, Gepäck, um neun Wochen in der Tundra zu biwakieren. Meine Mutter. Helga aus Bielefeld.
    Mit den Fingerspitzen harkt sie meine Gelfrisur in eine Art Burschenschaftler-Matte um. Oder, nennen wir das Kind doch beim Namen: zu einem Nazischeitel. Sie ist erst vier Sekunden in Hamburg und hat bereits das Kommando übernommen. Über mich, ein 35-jähriges Mäuselein mit Nazischeitel.
    Großstädter glauben ja immer, von allem als Erster erfahren zu haben und damit angeben zu müssen. Ich gehöre ehrlich gesagt zur allerschlimmsten Sorte. »Guck mal, Mama, da hinten, das ist ein Coffee-to-go-Laden, da gibt’s Kaffee in Pappbechern, falls man es eilig hat«, sage ich. »Ich als Rentnerin habe es ja nie eilig«, sagt sie. »Es sei denn, ich muss am Montag zum Chor, aber da würde ich keinen Kaffee trinken, Mäuselein, bei meinem Blutdruck.« Warum trinke ich eigentlich immer hier Kaffee? Und warum aus Pappbechern? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
    Meine Mutter ist keine weltfremde Frau. Sie lebt in derselben Welt wie ich, auch wenn sie andere Schlüsse aus ihr
zieht. Wenn ich ihr erzähle, einer meiner Freunde sei schwul, sagt meine Mutter »Wie schade«, und man bekommt nicht so ganz heraus, ob für ihn oder für alle Frauen, denen er einen Korb geben muss. Mama hat auch einen Computerkurs gemacht. Und behauptet, es gäbe oben links eine Taste, mit der man das Programm beendet, und diese Taste würde »Esprit« heißen. Sie hört im Auto Abba und singt dazu ein schwungvolles Fantasie-Englisch. Die Liste des Absurden

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