Operation Glueckskeks
Solo mio: Als Single auf Hochzeiten
W enn die Seele ein Organ wäre, wie würde sich ihre Oberfläche anfühlen? Glatt? Schrumpelig? Mit Borsten? In jedem Fall brauch ich in Zukunft eine Seele aus Leder. Eine Lederseele. Wäre doch toll, wenn man die in einem Geschäft einfach so kaufen könnte: »Guten Tag, eine Lederseele, bitte.« - »Eine was?« - »Eine Lederseele!« - »Wozu brauchen Sie die denn?« - »Ich bin in diesem Winter als Single auf drei Hochzeiten eingeladen.« - »Oh, verstehe, dann nehmen Sie doch die hier, die ist aus dreifach verstärktem Ochsenleder. Die hält was aus. Einpacken?« - »Nein, ich ziehe sie gleich an.«
Als Single und allein auf Hochzeiten gehen, das verlangt Ich-Stärke, egal ob man eine Frau oder ein Mann ist. Wird nicht schon genug von einem verlangt, wenn man einmal in der Woche in einer Bäckerei sagen muss: »Ein Junggesellenbrot, bitte.« Auf der letzten Hochzeit, zu der ich vor drei Wochen als Single eingeladen war, gab es einen Single-Tisch. Vier Frauen, vier Männer - und uns beschlich gemeinsam das Gefühl, nicht nur Aliens in der Pärchenwelt zu sein, irgendwie schien es auch, als hätten sich die Gastgeber voller Übermut gedacht: »Vier Frauen, vier Kerle, das sind in der Mathematik der Liebe vier Paare.«
So muss man sich fühlen, wenn man einem Bergstamm im Himalaya angehört, in dem die arrangierte Hochzeit zum guten Ton zählt. So muss es sein, wenn man nach dem Austausch von Ziegen und einem Eimer Gulasch in eine Jurte geführt wird und einem jemand zuraunt: »Das ist deine neue Frau.« Da macht sich Schwermut breit.
Hinzu kam, dass die Hochzeit meines Freundes Lorenz und seiner Freundin Anke die Sorte Feier war, bei der das Paar richtig bluten muss, bevor es in die Ehe entlassen wird. Es gab Spiele, eine Hochzeitszeitung mit Bildern voller finsterer Frisuren und sehr, sehr lange Gedichte, in denen verbal auf dem Bauchansatz des Bräutigams herumgetrampelt wurde. Single zu sein fühlte sich zwar immer noch nicht an wie die Garantie für endloses Glück. Dafür bekam man keine Gedichtzeilen an den Kopf gehauen und musste nicht zu »We Are Family« mit den rotgesichtigen Verwandten aus Klein Tornow Polonaise tanzen.
Am Single-Tisch hatte zu diesem Zeitpunkt eine Art spontane Zuordnung stattgefunden. Der Bräutigam hatte mir vorher gesagt, dass Kerstin, 35, Grafikdesignerin, einen »total kranken Humor« habe. In meiner Fantasie hatten Bräutigam und Braut um unsere Namen einen Kringel und dahinter ein Herz gemalt. Es war ein bisschen erniedrigend. Aber ich muss zugeben, wir verstanden uns sofort. Ich hatte ein Auslandsjahr in Italien gemacht, sie auch. Sie hielt Roger Moore für den tuntigsten Bond aller Zeiten - ich auch. Und Daniel Craig für den coolsten Hund des Universums. Das letzte Coldplay-Album?
Großer Mist! »Leute wie uns nennt man übrigens in Japan kokotta kurisumas keki«, sagte sie über den Rand ihres Glases hinweg. »Das bedeutet ›übrig gebliebener Weihnachtskuchen‹. Ist jeder, der mit 24 nicht verheiratet ist.« Etwas unentschlossen, ob man darüber nun lachen oder weinen sollte, wünschte sich Kerstin beim DJ »Big in Japan«. Wir vom Single-Tisch rempelten uns durch die Polonaise hindurch auf die Tanzfläche, wir fühlten uns wie die Leute, die früher auf Klassenfahrten in der letzten Reihe des Reisebusses heimlich Dosenbier getrunken hatten. Wir waren die Störenfriede, aber man konnte uns schlecht rausschmeißen. Meine Lederseele wurde langsam geschmeidig.
»Lorenz und Anke sind ja jetzt im Hafen der Ehe angekommen - und was ist mit euch?«, fragte ihr Vater. - »Wir? Wir stechen gerade erst in See!«
Als der Song zu Ende war, stand der Schwiegervater meines Freundes Lorenz an unserem Tisch: »Lorenz und Anke sind ja jetzt im Hafen der Ehe angekommen«, sagte er in die Runde - und nach einer Kunstpause: »Und was ist mit euch?« Kerstins Antwort wird mich sicher durch die kommenden drei Hochzeiten führen: »Wir? Wir stechen gerade erst in See.«
Illu. 1
Voll auf Dioptrin: Frauen mit Brille
A ls ich ein Teenager in Bielefeld war, war das Leben voller mieser Nachrichten. Ganz oben auf der Shit-List der schlechten Neuigkeiten stand der Satz: »Du bekommst eine feste Zahnklammer. Aus Metall. Und musst sie drei Jahre lang tragen. Mit Drähten, die außen am Kopf langlaufen und von einem bunten Gummiband im Nacken gehalten werden.« Man sah mit so einer Zahnspange aus, als habe man einen Football-Helm vom Schrottplatz auf. Um
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