Operation Glueckskeks
Fernbeziehungspaares, man hat ja noch morgen. Der Sonntag fühlt sich an wie der letzte Tag der Schulferien, bevor man wieder im Braunkohletagebau der Single-Woche zu schuften anfängt.
Blicken wir den Tatsachen ins tränengefüllte Auge: Es ist total bescheuert. Man merkt, dass man dafür eigentlich zu alt ist. Dass man dauernd für die eigene Wohnung Blumen kauft, deren verwelkte Reste man am Sonntagabend dann wegwirft. Und der Neid ist da. Auf all die Paare, die in der gleichen Stadt leben, die morgen, am Montag, zu Ikea fahren oder »Aktenzeichen XY« gucken oder zusammen Kartoffelbrei aus dem Topf essen oder den Wagen in die Waschanlage fahren.
Und dann? Dann packt man wieder die Tasche für die Rückfahrt. Taxi, Bahnsteig, Tee, Hühnerfrikassee, Schokomuffin. Im ICE von Berlin nach Hamburg am Sonntag, dem Rückreisetag, tragen alle ihre iPod-Stöpsel, man hört noch einmal dem Wochenende hinterher, riecht noch einmal an der Haut, die nicht nur nach einem selber riecht. Man will mit niemandem reden. Es ist so kitschig, es ist so voller Breitwand-Doktor-Schiwago-Pathos, dass man darüber eigentlich lachen müsste, wenn es nicht so dämlich wäre. Und dann sieht man die Lichter von Hamburg auftauchen. Es nieselt, im Kopf und auch sonst. Es tut weh, und man ist dabei so lebendig wie selten. Es kribbelt und piekst, es nervt und macht müde. In fünf Tagen ist Wochenende, 17.32 Uhr, Gleis acht.
Das Handy brummt. Und man antwortet, ein bisschen traurig, ein bisschen glücklich: »Ja. Ich dich auch.«
Das isse: Mama trifft Freundin trifft Dorf
E s gibt Schraubenkaffee. Und Schraubenkaffee gibt es nur hier - bei meiner Mutter in Bielefeld: einen starken, bitteren Filterkaffee, der so schmeckt, als ob am Boden der Kanne eine rostige Schraube liegt. Laut meiner Mutter schmeckt Schraubenkaffee am besten mit Kaffeesahne aus kleinen, dunkelbraunen Einmaldöschen. Vor allem wenn der Kaffee »schön lange auf der Warmhalteplatte gezogen hat«, sagt Mama und schenkt mir und meiner neuen Freundin nach und lässt jedem zwei Süßstofftabletten in die Brühe plumpsen.
Wir sitzen in Mamas beige- und goldfarben eingerichtetem Wohnzimmer. Zwischen uns und der Welt hinter der Balkontür wallt eine spinnenwebdünne Gardine, man kann ein paar Vorgartentannen sehen, auf denen Schnee liegt. Die Atmosphäre schwankt zwischen Klaustrophobie für Fortgeschrittene, Abiprüfung und trachtenjackiger Gemütlichkeit.
Meine neue Freundin und ich absolvieren gerade, was Mama vor zwei Wochen am Telefon »den Antrittsbesuch« genannt hat. Drei Stunden Autofahrt Hamburg-Bielefeld. Aussteigen, Blumen, aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Neue Freundin trifft Mama. Das bedeutet: Man setzt sich
24 Stunden allen Anekdoten aus, die Mama über mich parat hat. Der finale Striptease, die Vergangenheit wird geröntgt, gegen das Licht gehalten, alles kommt auf den Tisch. Und als ob das noch nicht reichen würde: Neue Freundin trifft das Dorf, aus dem ich komme, eine Siedlung mit drei Bushaltestellen, zwei Fabriken, einem Bahnübergang und dem alten Schwimmbad, in dem jetzt eine Spielothek drin ist.
Neue Freundin sitzt auf der Besetzungscouch, dem Ort, an dem meine beiden Brüder und ich die jeweils neue Freundin Platz nehmen lassen: um Schraubenkaffee zu trinken und um - seien wir ehrlich - von Mama ein »Daumenhoch« für unsere Freundinnen zu bekommen. Mama hat in Frauenfragen die Entscheidungskompetenz, die der Bundespräsident in der Politik hat. Sie hat nix zu melden und ist trotzdem die Nummer Eins im Lande.
Mama serviert Filterkaffee und einen Aschenbecher aus Salzteig, den ich ihr 1981 zum Muttertag geschenkt habe.
Ich will, dass Mama die neue Freundin mag, aber ich will nicht gleich - statt in einem Hotel zu übernachten - bei Mama im Wohnzimmer untergebracht werden. Ja, Mama, das ist super, dass du noch meine alte Matratze hast, ja, wenn wir den Tisch beiseite schieben WÜRDEN, hätten es hier zwei Mäuselein, wie wir es sind, wirklich gemütlich. Mein Gehirn schaltet auf Autopilot, meine Mutter nennt mich und meine Freundin Mäuselein? »Okay. Wir machen es.« Habe ich das gerade wirklich gesagt? Ich habe es. Neue Freundin guckt mich an, als hätte ich ihr gerade die Schraubenkaffeekanne über den Kopf geknallt.
Illu. 20
Mama und neue Freundin reden miteinander, es liegt so viel Wohlwollen in der Luft, dass einem ganz flau wird, in Mamas Augen ist ein Daumenhoch zu lesen. Meine Mutter packt blutrünstige Anekdoten aus ihrer Zeit
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