Operation Overkill
wären zur Vernunft gekommen, aber ich habe mich geirrt. Ich habe Ihnen doch erklärt, dass ich diese Auskünfte brauche. Und Sie werden sie mir auch geben – jetzt oder später.«
Der Engländer, in dessen Blick das blanke Entset-zen stand, schrie erneut: »Ich sage Ihnen alles, was Sie wissen wollen – alles, was ich weiß. Aber diese Fragen
– ich weiß nicht mal, wovon Sie reden.«
Der Verhörspezialist blickte auf ihn hinab und tätschelte ihm sanft die Schulter. »Das werden wir schon sehen«, sagte er leise. »Das werden wir schon sehen.«
22
Er trat zu der Wand neben dem Vernehmungstisch, streckte den Arm aus und drückte auf zwei Schalter, auf denen in kyrillischer Schrift »Video« und »Audio«
stand. Unmittelbar über dem Tisch leuchteten zwei ro-te Lämpchen auf, die anzeigten, dass die Videokamera und der Kassettenrekorder in Betrieb waren. Der Verhörspezialist nickte, ging in die eine Ecke des Raumes, wählte eine an einem Haken hängende Wachstuchschürze aus und band sie um. Er winkte den Technikern und dem Arzt zu, die es ihm gleichtaten.
Der Gefangene auf dem Tisch fing an zu schreien.
Der Verhörspezialist blickte zu ihm und erteilte einem der Techniker einen kurzen Befehl, worauf dieser zum Tisch ging und ihn grob mit Klebeband knebelte. Der Arzt nahm auf der linken Seite des Gefangenen Platz und legte eine Luftmanschette zum Blutdruckmessen um dessen linken Arm. Dann öffnete er seine Tasche, bereitete eine Reihe von Injektionen vor, hauptsächlich Stimulanzien, und klebte das Stethoskop an der Brust des Mannes fest. Als er fertig war, nickte er dem Verhörspezialisten zu.
Die Techniker, die erwartungsvoll neben den Wagen standen, betrachteten den Gefangenen so mitleid-los wie zwei Schlachter, die eine Rinderseite mustern.
Schließlich setzte sich der Verhörspezialist wieder auf den Plastikstuhl und beugte sich dicht zu dem Engländer, der trotz des Knebels immer noch zu schreien versuchte. »Ruhig jetzt«, sagte er. »Sie hatten die Gelegenheit, sich vernünftig zu verhalten. Jetzt müssen Sie die Folgen tragen.«
23
Der Verhörspezialist sagte kurz etwas auf Russisch und beugte sich vor, um den Technikern bei der Arbeit zuzusehen. Er schätzte gern die Widerstandskraft seiner Opfer ein, und dieser Mann, davon war er überzeugt, würde leicht zu brechen sein. Vier Minuten später fiel der Gefangene in Ohnmacht. Als der Arzt ihn wieder zur Besinnung gebracht hatte, fingen die Techniker erneut an. Dann rissen sie den Knebel ab, und die Vernehmung begann. Die Antworten stellten den alten Mann mit den unschuldigen blauen Augen immer noch nicht zufrieden, daher trat er vom Tisch zurück und bedeutete den Technikern, dass sie fortfahren sollten. Als der Gefangene aufhörte zu schreien, stellte ihm der grauhaarige Mann die gleichen Fragen noch mal.
Nach rund zwei Stunden hörten sie auf. Der Gefangene war in einen schweren Schock verfallen, und alle Bemühungen des Arztes und der Techniker waren er-folglos. Der Verhörspezialist stand auf und blickte einen Moment lang auf den geschundenen Mann auf dem Tisch. Dann wählte er eine dünne Stahlsonde auf einem der Instrumentenwagen aus, die er sorgfältig durch den linken Augapfel des Gefangenen und tief in dessen Gehirn stieß. Zur Sicherheit nahm er sich anschließend auch das rechte Auge vor. Er zog die Sonde heraus, warf sie wieder auf den Instrumentenwagen und wandte sich dann an den Cheftechniker.
»Schafft ihn fort«, sagte er.
24
Offiziell gibt es das Komitet Gossudarstwennoj Besopas-nosti , kurz KGB, nicht mehr, und manche Teile der alten Zentrale am Lubjanskaja Ploschtschad – ehemals Dserschinskij Platz – sind tagsüber sogar für Touris-tengruppen zugänglich. Die inneren Bereiche darf allerdings nach wie vor kein Besucher betreten, doch die Führer weisen nachdrücklich darauf hin, dass dieses riesige Gebäude nicht mehr genutzt wird, nur mehr eine Gedenkstätte ist, eine Erinnerung an eine schlimme Vergangenheit, die das moderne, post-kommunistische Russland ein für alle Mal hinter sich hat.
Doch wie so oft, ob in der alten Sowjetunion oder im heutigen Russland, entspricht die offizielle Darstellung nicht ganz der Wahrheit. Sicher, das KGB gibt es offiziell nicht mehr, aber ein neuer Dienst, das Slusch-ba Wneschnej Raswjedki Rossi oder SWR, hat dessen Aufgaben übernommen – jedenfalls die des Ersten Hauptdirektorats –, ohne dass sich, vom Namen einmal abgesehen, viel geändert hätte. Das SWR sitzt in dem
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