Operation Romanow
die Anzahl der Opfer mit dem ursprünglichen Report übereinstimmte. In zwei weiteren Berichten von 1922 und 1934 stellte er ein paar Dinge wieder anders da.«
»Warum, glauben Sie, war das so?«
Fomenko lachte. »Weil Lügner ein gutes Gedächtnis haben müssen, und das hatte Jurowski nicht. Sogar die offizielle Version, die 1921 von Moskau veröffentlicht wurde, unterschied sich von seinem ersten Bericht.« Fomenko sah mich an. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Moskau in sechzig Jahren nicht ein einziges Mal versucht hat, Jurowskis Angabe über die Lage der Gräber zu überprüfen oder sterbliche Überreste der Romanows endgültig zu beseitigen. Ich finde das ausgesprochen erstaunlich. Sie nicht?«
»Und warum, meinen Sie, hat Moskau es nicht getan?«
»Das weiß nur der liebe Gott.« Fomenko zuckte mit den Schultern. »Aber fünf verschiedene Berichte – wenn man die offizielle Version von Moskau aus dem Jahr 1921 mitzählt – vermitteln mir das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Jurowski, der schon die Romanows so meisterhaft betrogen hatte, gingen Lügengeschichten wohl leicht über die Lippen.«
»Meinen Sie, es wurde versucht, etwas zu vertuschen?«
»Gewissermaßen«, erwiderte Fomenko. »Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Wahrheit über den Romanow-Fall immer durch Intrigen und Verschwörungen verschleiert wurde. Nicht weniger als fünf der Ermittler starben unter höchst mysteriösen Umständen. Einer von ihnen, ein Richter namens Iwan Sergejew, wurde ermordet, nachdem er einem Reporter gegenüber zugab, dass seine Ermittlungen zu der Annahme führten, Anastasia sei dem Tod entronnen. Offenbar wollte ihn jemand zum Schweigen bringen.«
Fomenko lehnte sich zurück. »Während meiner Arbeit in den Archiven des KGB habe ich Gerüchte gehört, dass in der Moskauer Geheimbibliothek der Partei Akten versteckt sein sollten. Berichte, in denen es unter anderem um die Zarenfamilie, ausländische Agenten und das Überleben von einem oder mehreren der Kinder ging. Nach den Morden kursierten unzählige Gerüchte, und es wurde von unterschiedlichsten Beobachtungen berichtet. Besonders interessant war die Behauptung, Anastasia sei zur Flucht verholfen worden. Ich fand es immer ironisch, dass der Name Anastasia ›die Auferstandene‹ oder ›diejenige, die wieder auferstehen wird‹ bedeutet.«
Der Historiker verstummte kurz. »Und dann gab es natürlich auch diesen berühmt-berüchtigten geheimnisvollen Zug. Kurz nach drei an dem Morgen des Massakers protokollierte der Stationsvorsteher des Bahnhofs von Jekaterinburg, dass ein Zug mit geschlossenen Fensterläden und heruntergezogenen Rollos nach irgendeinem blutigen Zwischenfall den Bahnhof verließ. In den folgenden Jahren hat niemand genau ermitteln können, wohin der Zug fuhr. Oder wer in dem Zug war. Er verschwand buchstäblich von der Bildfläche.«
»Was glauben denn Sie als Experte? Meinen Sie, es könnte jemand von den Romanows überlebt haben?«
Fomenko lächelte. »Wie oft wurde diese Frage schon gestellt? Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?«
»Ja.«
»Niemand weiß es genau. Nicht einmal die Experten. Die Logik und die DNA-Proben legen nahe, dass keiner aus der Familie überlebt zu haben scheint. Obwohl es im Falle von Anastasia nicht mit Sicherheit bestätigt werden kann. Bei keinem der entdeckten Knochen stimmte das Alter mit dem von Anastasia überein. Viele Experten sind der Meinung, dass die gefundene DNA keine Aussagekraft hat, wenn es keine hundertprozentigen Vergleichsproben gibt. Alles andere sind nur Wahrscheinlichkeiten. In einem berühmten siebenhundert Seiten starken Urteil kam ein deutsches Gericht einmal zu dem Schluss, dass der Tod von Anastasia keineswegs eindeutig bewiesen werden konnte.«
Er rutschte ein Stück nach vorn. »Es existieren nämlich Dokumente, die beweisen, dass sich Anastasia in jener Nacht mindestens drei Gelegenheiten boten, trotz der Wunden, die sie zweifellos davontrug, fliehen zu können«, sagte er mit Nachdruck. »Augenzeugen haben berichtet, dass sie sich zwei Mal bewegt und geschrien hat, als alle glaubten, sie sei längst tot.«
Fomenko holte tief Luft. »Wir wissen auch, dass der Kommandant in jener Nacht ziemlich abgelenkt war. Er hatte eine Menge getrunken. Tatsächlich waren die meisten Schützen stark alkoholisiert, wenn nicht schon vor, dann jedenfalls nach den Morden. Stellen Sie sich das alles einmal vor! Nach den Erschießungen muss ein unglaubliches Chaos geherrscht
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