Operation Romanow
hinweg.«
»Hat er jemals erfahren, was ihr zugestoßen ist?«
Connie runzelte die Stirn. »Wenn, dann hat er es mir nicht erzählt. In den späteren Jahren seines Lebens spielte er mit dem Gedanken, ein Buch über ihre gemeinsamen Jahre in Irland zu schreiben. Ich habe ihm sogar geholfen, ein paar Notizen abzutippen. Leider starb er, ehe er etwas Brauchbares zu Papier gebracht hatte. Die Notizen habe ich als Erinnerung aufgehoben. Sie müssen irgendwo sein.«
Connie ging an einer Wand entlang, an der zahlreiche Fotos hingen oder auf kleinen Regalen standen. Sie nahm eines in die Hand und gab es mir. »Das ist Lydia. Sie war ein hübsches Mädchen. Ihr Vater nannte sie immer mo cushla . Das ist Gälisch und heißt: ›Du bist mein Herzschlag, mein Atem‹. Mein Vater liebte diesen Ausdruck. Er sagte immer, er würde genau das ausdrücken, was er für Lydia empfindet. Sie standen sich sehr nahe.«
Sie reichte mir ein anderes Foto, auf dem Lydia in irgendeinem Palast mit den fünf hübschen Romanow-Kindern abgebildet war. Neben den vier Mädchen, Tatjana, Olga, Maria und Anastasia in weißen Baumwollkleidern und mit Seidenschleifen im Haar, stand Alexej in seinem Matrosenanzug. Er war nicht älter als acht und lächelte schelmisch. Als ich das Bild betrachtete und an die Grausamkeit in jener Nacht dachte, wurde mir das ganze Ausmaß der Tragödie wieder bewusst.
»Mein Vater hat sich immer ungeheuer für die Tragödie der Romanows interessiert«, fuhr Connie fort.
»Ach ja?«
»Ich vermute, aufgrund von Lydias Verbindung zu der Familie. Er ist 1977 kurz vor seinem Tod tatsächlich nach Russland gereist.«
»Warum?«
Sie reichte mir ein anderes Foto, auf dem Finn als alter Mann abgebildet war. Das Bild war offensichtlich in Russland aufgenommen worden, denn im Hintergrund sah man eine goldene Kuppel. »Er schien sich besonders für Jekaterinburg zu interessieren. Das war natürlich vor Glasnost, doch es gelang ihm, ein Touristenvisum zu bekommen. Offenbar hatte der Besuch eine große Bedeutung für ihn. Ich vermisse ihn noch immer, wissen Sie.«
Ich starrte auf das Bild und hörte die Trauer in ihrer Stimme.
Connie stellte das Foto zurück aufs Regal. »Möchten Sie sich vielleicht das Familiengrab ansehen, wo mein Vater begraben wurde?«
»Gerne.«
Auf dem Couchtisch stand eine Vase mit gelben Rosen. Connie nahm zwei heraus und spazierte mit mir über ein paar Felder, auf denen Lydia einst Reiten und Schießen gelernt hatte. Nach einem kurzen Fußweg gelangten wir zu einem kleinen Friedhof mit einem Maschendrahtzaun. Es war eines dieser Familiengräber, wie man sie oft im ländlichen Amerika findet. Mit den etwa ein Dutzend Grabsteinen aus Granit sah es in der Nachmittagssonne sehr friedlich aus.
»Das ist das Grab meines Vaters.«
Der schwarze Granitstein trug eine Inschrift.
Finn Ryan.
Ein stolzer Amerikaner, der den Kampf um die irische Freiheit unterstützte.
1900–1977
Jetzt ruht er in den Armen unseres Herrn.
Auf dem Grabstein daneben stand:
Lydia Ryan
1894–1918
Die Liebe vergisst nie.
Ich betrachtete verwundert die Inschrift.
»Mein Vater hatte den Wunsch, einen Gedenkstein aufzustellen, der an sie erinnert«, sagte Connie. »Was war es noch gleich, was Freud einst gesagt hat? Alle Depressionen werden durch den Verlust der Liebe eines anderen Menschen hervorgerufen. Mein Vater war zutiefst betrübt, nachdem er sie verloren hatte. Er hat sie immer vermisst.« Connie kniete sich auf die Erde und legte auf beide Grabsteine eine gelbe Rose.
Ich war versucht, ihr alles zu erzählen, was ich herausgefunden hatte, doch irgendetwas hielt mich zurück.
Noch nicht. Nicht, bevor ich alles weiß .
»Sie haben nie erfahren, was aus ihr geworden ist?«
Connie stand auf. »Nein, aber Frank, der Cousin meines Vaters, sprach einmal von ein paar Männern der amerikanischen Regierung, die meinen Vater 1919 besuchten. Er behauptete, sie hätten ihm gesagt, Lydia sei umgekommen und ihr Leichnam nie gefunden worden. Als die Männer wieder gingen, war mein Vater furchtbar aufgewühlt. Ich weiß nicht, ob sie ihm noch mehr erzählt haben. Er hat nie darüber gesprochen.«
»Wissen Sie sonst noch irgendetwas über diese Männer?«
»Über einen von ihnen stand etwas in den Notizen, die ich abgetippt habe. Er hatte einen irischen Namen – Boyle. Daran erinnere ich mich.«
Es war ein kalter Morgen in Dublin, als ich mit dem Taxi von meinem Hotel zu der Blackrock Privatklinik an der Dubliner Bucht im
Weitere Kostenlose Bücher