Opernball
demonstrieren. Das hatte schon Tradition. Aber diesmal schienen sie es ernsthaft darauf angelegt zu haben, den Ballgästen den Zugang zur Oper zu verwehren. Sie wurden unterstützt von den Antifaschis, wie sie sich nannten, denen die Zusammenkunft der drei nationalen Führer ein gefundenes Fressen war. Unter ihnen gab es einige, die gute Beziehungen zur Presse hatten. Schon Tage vor dem Opernball war es ihnen gelungen, die Aufmerksamkeit der Medien auf ihren Protest gegen das Treffen von Bärenthal mit der Mussolini und mit Jacques Brunot zu lenken. Andere waren dem Racheaufruf für Abdul Haman gefolgt. Sie wollten es uns heimzahlen. Abgesehen von ein paar amtsbekannten Altlinken sah ich nur Jugendliche. Sie stürzten sich auf uns wie eine Horde von Raubtieren. Keine Taktik funktionierte mehr. Wir waren in viele Gruppen auseinandergerissen, wir irrten herum, versuchten wenigstens, uns gegenseitig zu Hilfe zu kommen, wurden aber nach allen Richtungen abgedrängt. Es war verheerend. Wir konnten uns der Meute nicht erwehren. Das Wichtigste und wahrscheinlich das einzige, worum es noch ging, war: Keiner von uns durfte ihnen einzeln in die Hände fallen. Irgendwie sprach sich durch, das Kommando, die Demonstranten zu zerstreuen, sei zurückgenommen worden. Wir sollten uns aus der Menge ausklinken und wieder in der Passage sammeln. Das gelang schließlich auch. Einige fehlten. Wir hofften, daß sie sich zu den Kollegen auf der anderen Seite des Karlsplatzes durchgeschlagen hatten, die von der Ringstraße her die Demonstration zu zerstreuen suchten, genauso vergeblich wie wir. Von dort meldeten sie sich schließlich über Funk: »Stipitz haben sie die Waffe abgenommen«, hieß es. »Sie haben ihn verprügelt. Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus.«
Ich kannte Stipitz nicht. Aber mir war klar, Stipitz könnte auch ich sein. Wer weiß, was sie alles mit ihm gemacht haben. Da schoß mir plötzlich eine ungeheure Wut ein. Ich stellte mir vor, wie sich alle auf mich stürzen und mich niederreißen, wie sie auf mir herumtrampeln, mir ins Gesicht treten. Rache, denkst du. Das mindeste, was Stipitz von uns erwarten kann, ist, daß wir ihn rächen. In diesem Moment hätte ich sie am liebsten alle erschlagen.
Wir waren in die Passage hineingeflüchtet und stellten uns in der Formation Bögl auf. Die ist benannt nach einem ehemaligen Polizeipräsidenten, der sie ausgetüftelt hat. Es geht darum, eine sichere Verteidigungsstellung zu finden, aus der heraus man problemlos in den Angriff übergehen kann und umgekehrt. Beim Bögeln, wie wir seither unsere Einsätze in dieser Formation nennen, werden jeweils ein Schutz- und ein Eingreiftrupp miteinander verbunden. Die Männer des Schutztrupps bilden die ersten Reihen. Sie tragen hohe Plexiglasschilde. Es müssen mindestens zwei, können aber auch vier oder fünf Reihen hintereinander sein. Sie bilden eine Rundung, fast einen Halbkreis, der an den Flanken gut abgesichert wird. Die Aufstellung darf nicht zu eng sein, um es den Männern vom Eingreiftrupp möglich zu machen, jederzeit nach vorne durchzustoßen, aber auch, um Demonstranten, die sich zu weit vorwagen, von ihren Mitkämpfern abschneiden zu können. Die Männer des Eingreiftrupps tragen keine Schilde. Sie operieren von der Mitte der Formation aus. Ihre Aufgabe ist es, Verhaftungen vorzunehmen. Sie laufen zwischen den Reihen nach vorne, holen sich einzelne Demonstranten und ziehen sie nach hinten. Dadurch, daß wir in der Bögl-Formation nicht sehr eng beisammenstehen, können wir jederzeit zu laufen beginnen, ohne einander auf die Füße zu treten.
Noch außer Atem, schrien wir durcheinander und fluchten, als wir uns in der Passage neu aufstellten. Die Wilden waren uns nicht nachgelaufen, so hatten wir wenigstens Zeit, uns auf die nächste Etappe des Kampfes vorzubereiten. Während wir uns in die Reihen einordneten – wir hatten es oft genug geübt –, sprachen wir uns gegenseitig Mut zu.
»Jetzt mauern wir uns ein«, sagten wir, »aber wenn Verstärkung kommt, dann werden wir sie niederbügeln, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.« Eines war uns allen klar. Draußen hatten wir vorläufig keine Chance. Wir mußten in der Passage bleiben. Hier würden wir die Position halten können. Solange die Kollegen auf der Ringstraße die Abgänge zur Passage unter Kontrolle hatten, mußten wir nicht befürchten, von der Rückseite angegriffen zu werden.
Dann die dreimalige Durchsage: »Kein Schußwaffengebrauch!«
Da war es plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher