Opernball
Alessandra Mussolini, oder er sprach mit Jacques Brunot über das Ausländerproblem in Frankreich. Vielleicht wußten die Grazer noch gar nichts von unserer Lage. Vielleicht waren die Herren von der Wirksamkeit der Bögl-Formation so überzeugt, daß sie darauf verzichteten, Verstärkung anzufordern. Wir hingegen waren draußen. Wir wußten, was auf uns zukommen kann. Wenn die sich zusammentun, schieben sie uns die ganze Passage entlang und quetschen uns durch das Kellerfenster der Oper.
Aber noch standen wir. Unser Riegel war nicht zu passieren. So einfach waren wir nicht wegzubringen. Sie wichen aus, schienen kein sonderliches Interesse zu haben, es mit uns aufzunehmen. Anfangs tanzten sie um eine schwarze Fahne, die von einer Frau euphorisch in die Luft geworfen wurde und dabei aus der Kassettendecke der Passage Bauschutt und Staub herabregnen ließ.
»Der schönste Ball ist der Krawall«, schrien sie. Klar, sie wollten uns provozieren. Ohne direkt angegriffen zu werden, durften wir nicht losschlagen. Aber gerade jetzt wäre es möglich gewesen. Mit diesen paar Hanseln wären wir leicht fertig geworden. Ab mit ihnen und dann den nächsten Schwung. So wäre es gegangen. Die Chaoten kannten offenbar unsere Regeln. Sie wollten uns zum Kochen bringen.
Natürlich wußten wir, das ganze Land steht hinter uns. Aber was haben wir davon, wenn die vielen, die es nicht erwarten können, daß endlich zurückgeschlagen wird, keine Ahnung haben, in welcher Lage wir sind. Bis die das erfahren, ist alles vorbei. Es war knapp vor zehn. Gleich würde die Ballübertragung beginnen. Man sollte am Beginn der Sendung die Menschen einladen, zu uns zu kommen. Statt dessen diese ständigen Aufforderungen, die Gegner mit Glacéhandschuhen anzufassen. Nichts als Hirngespinste. Wir sind das Kanonenfutter, während die am Opernball Weltoffenheit spielen. Dem fehlt doch jeder Rückhalt. Die Menschen warten nur darauf, bis es endlich soweit ist. Denen steht die Wut bis zum Hals. Wenn man im Gasthaus mit den Leuten spricht, hört man nur eines: Macht ein für allemal Schluß mit dieser Quälerei von rechtschaffenen Bürgern.
Das etwa ist mir und sicher auch den anderen durch den Kopf gegangen. Ich habe auf das Fernsehen gehofft. Wenn die Leute sehen, daß wir in Bedrängnis sind, kommen sie mit den Schrotflinten. Das war doch auch an den Ostgrenzen so gewesen. Der Grenzschutz und das Militär waren überfordert. In jedem Rübenfeld lagen ein paar halbverhungerte Slawen. Und man konnte sie nicht einmal zurückjagen, weil die Caritas sie vorher noch aufpäppeln wollte und ihnen bei der Gelegenheit auch gleich einen Asylantrag in die Hand drückte. Bis es den Menschen eines Grenzdorfes zu bunt wurde. Sie griffen zur Selbsthilfe. Am Abend zogen die Burschen mit Schrotflinten, Schlachtschußapparaten und Mistgabeln aus. Innerhalb kürzester Zeit war der Spuk vorbei. Seither hat das Dorf Ruhe vor Flüchtlingen.
An diese Burschen dachte ich. Ich stellte mir vor, wie sie singend mit Traktoren und Miststreuern die Ringstraße heraufziehen, vor den Demonstranten eine kleine Kurve machen und anhalten, den Rückwärtsgang einlegen, Gas geben und die Streuwalzen einschalten, bis alle von Kopf bis Fuß mit Scheiße bedeckt sind. Wenn die Burschen dann mit ihren Schrotflinten aus den Fahrerkabinen auf die Dächer klettern, springen die Chaoten fort wie die Hasen, bevor ein einziger Schuß fällt. Dann setzen sich die Bauern vor der Oper auf die Straße, packen ihren Speck aus, trinken Most und sagen zu den staunenden Opernballgästen: »Denen haben wir gezeigt, wie man mit der Geiß ackert.«
Der Kreis von tanzenden Gestalten schwoll rasch an, wurde mit jeder Drehung größer und dichter und fiel in Gleichschritt zum Rhythmus des Sprechchors: »Der schönste Ball ist der Krawall.«
Bald war der Platz vor uns mit Menschen gefüllt, der Kreisel hörte auf, sich zu drehen. In der Mitte eingezwängt, stak noch die Fahne heraus. Der Tanz war in ein heftiges Stampfen übergegangen, Füße, die sich in Windeseile zu vermehren schienen. Vom Resselpark kamen immer mehr Menschen herein, drängten nach vorne, fielen mit ihren Schritten in den Rhythmus, drückten in unsere Richtung. Es wurde lauter und lauter. »Der schönste Ball ist der Krawall.«
Bald standen sie so dicht, daß sie aufhören mußten zu stampfen, weil sie einander auf die Füße zu treten begannen. Langsam bewegten sie sich auf uns zu, ganz langsam. Man sah deutlich, einige lehnten sich
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