Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
Vom Netzwerk:
unheimlich still. Es mußte irgend etwas vorgefallen sein, das wir nicht mitgekriegt hatten. Hatten die Wahnsinnigen begonnen, die Waffe von Stipitz zu benutzen? Von diesem Funkspruch an war uns allen klar, jetzt wird es ernst. Diesmal würden wir mit Bögeln nicht durchkommen. Wir rückten enger zusammen. Keiner sagte ein Wort. Es war, als hätte sich der Lärm in unser Inneres hineinverschlagen. Die Luft schien zu zittern. Die Sprechchöre hatten aufgehört. Was geht vor da draußen? Warum geschieht nichts? Wo bleiben die bloß?
    Von der Resselpark-Seite kamen fünfzehn, zwanzig Chaoten in die Passage herein, merkwürdig friedliche, verspielte Gestalten, denen es an Angriffslust fehlte. Sie schwenkten eine schwarze Fahne und blieben vor unseren Plexiglasschilden stehen, überrascht, oder fast ein wenig geehrt von so viel Aufwand. Wir hatten die Passage neben dem Abgang zur U-Bahn dicht abgeriegelt. Sie ist dort nicht breiter als fünf Meter. Jede Taktik und jeder Angriffsbefehl war zurückgenommen. Es galt nur noch unsere Leitweisung, wie sie bei der Vorbesprechung genannt wurde. Und die lautete, alles zu unternehmen, um ein Zusammentreffen von Opernballgästen und Chaoten zu verhindern. Für einen Angriffsschlag viel zu eng zusammengedrängt, ein Block von gut hundert Mann, standen wir in Bögl-Formation da und harrten. Die vorderen Reihen mit erhobenen Schlagstöcken. Ich stand in der zweiten Reihe und überlegte, was jetzt auf uns zukommen würde. Die Situation war mir neu. In all den Jahren war von Schußwaffe keine Rede gewesen und nun ein ausdrücklicher Befehl, sie nicht zu gebrauchen. Das konnte doch nur heißen, daß es allen Grund gab, zu schießen. Aber was war der Grund? Noch nie fühlte ich mich mitten im Kampfeinsatz so im Stich gelassen. Allen ging es so, das war zu spüren. Wir hatten keine Ahnung, was bei den Kollegen vor der Oper und auf der Ringstraße los war. Sie verkehrten mit der Befehlszentrale auf einem anderen Funkkanal. In irgendwelchen Einsatzwagen, durch irgendwelche Telefone wurde zweifellos fieberhaft beraten. Man ahnte das Geschrei des Sicherheitsdirektors, konnte sich vorstellen, wie der Innenminister nach Worten ringt, hörte förmlich die hektischen Lungenzüge seines Kabinettchefs. Ich malte mir aus, wie es zu diesem merkwürdigen Funkspruch hatte kommen können.
    »Wir lassen uns nicht unsere Leute abmurksen«, schreit der alte Sicherheitsdirektor. »Hör dir das an.«
    Er dreht das Funkgerät lauter, hält es dem Minister entgegen. »Das ist nicht mehr so wie letztes Jahr. Die sind nicht nur zehnmal so viele, die haben in der Margaretenstraße eine ganze Baustelle abgetragen. Wenn du es verantworten kannst, daß die uns erschlagen? Oder gar erschießen? Gib uns freie Hand, und in fünf Minuten ist eine Ruh.«
    »Du läßt dich dann von deinen Leuten feiern, und ich muß zurücktreten.«
    »Du mußt auch zurücktreten, wenn du uns im Stich läßt. Es wird ernst, Parteifreund. Die Stunde deiner Entscheidung ist gekommen.«
    »Wozu habt ihr denn diesen gottverdammten riesigen Apparat, wenn ihr nicht in der Lage seid, abzuschätzen, was auf euch zukommt.«
    »Wer hat denn immer heruntergespielt, wer hat denn immer gespart? Seit Jahren sage ich dir, du nimmst auf die falschen Leute Rücksicht. Jetzt haben sie dich. Jetzt sitzen wir in der Scheiße.«
    »Das bringt doch jetzt nichts«, murmelt der Kabinettchef und saugt sich dabei die Lungen voll. »Wir haben alle Reserven mobilisiert. In Graz wird gerade eine ganze Kompanie zusammengestellt. In spätestens zwei Stunden kriegt ihr das hin.«
    »Und was sollen wir so lange machen?«
    »Abriegeln und warten.«
    »Genau«, sagt der Minister, »abriegeln und warten. Das werdet ihr doch können.«
    »Und wenn wir es nicht schaffen? Ich brauche Vollmachten. Meine Leute müssen sich rühren können, wenn es zu eng wird.«
    »Ihr werdet das schaffen«, murmelt der Kabinettchef.
    »Ihr schafft das«, sagt der Minister. »Und noch eins, damit da kein Mißverständnis entsteht: Ich will, daß du sofort durchsagst: Noch kein Gebrauch von der Schußwaffe. Und jetzt entschuldige mich einen Moment.«
    Doch kaum ist er aus der Tür draußen, kommt er zurück, eine Hand schon im Hosentor. »Nicht noch sagen, auf keinen Fall noch sagen. Kein Gebrauch von der Schußwaffe, nein, kein Schußwaffengebrauch, so heißt die Order.«
    Vielleicht war der Innenminister aber auch noch gar nicht verständigt. Vielleicht trank er gerade ein Glas Champagner mit

Weitere Kostenlose Bücher