Opfer der Lust
sie zurückzuhalten, stieß er sie an. Mit einem Aufschrei fiel Beth nach vorne. Kade fing sie instinktiv auf. Sie fand sich auf Knien wieder, die Arme hatte sie in seine Hose gekrallt, um den Aufprall abzufangen.
Dann war es sekundenlang still. Sie hörte nur ihren eigenen Atem und ein Geräusch, das sie nicht zuordnen konnte. Es hörte sich an, als würde ein Klettverschluss geöffnet werden. Als sie über ihre Schulter zurückschaute, erkannte sie, was dieses Geräusch gewesen war.
Mantis stand mit einer Browning in der Hand einige Schritte von ihnen entfernt. Die Klebestreifen warf er vor Bethanys Füße. Er musste die Pistole an die Rückwand des Wohnzimmerschranks, der gleich neben der Badezimmertür stand, geklebt haben. Nun zielte er damit auf seine beiden Opfer.
„Niemals seine Deckung aufgeben“, sagte er und lachte abfällig. Dann schoss er.
Die Kugel traf Kade. Da Mantis so nah vor ihnen stand, warf der heftige Aufprall Kade sofort zu Boden. Die Waffe entglitt seiner Hand, und regungslos blieb er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen.
„Kade!“, schrie Beth entsetzt und neigte sich über ihn.
Sie bemerkte das Loch in seinem Hemd, direkt oberhalb der Brusttasche. Das durfte alles nicht wirklich geschehen! Kade durfte nicht tot sein. Tränen liefen ihre Wangen hinab und sie machte sich nicht einmal die Mühe, sie abzuwischen. Sie tropften ungehindert auf Kades Oberkörper.
Plötzlich brach ein Inferno los. Die Terrassentür wurde eingetreten, fast im selben Moment stürmten bewaffnete Männer und Frauen durch die eingetretene Wohnungstür in das Appartement. Sie trugen schwarze Westen mit den Initialen FBI auf der Brust und hatten ihre Waffen gezückt.
Eine blonde Frau trat vor. Sie hielt ihre Pistole auf Mantis gerichtet und sagte emotionslos: „Lassen Sie die Waffe fallen, Mister Hart. Das Spiel ist vorbei.“
Beth hatte sie schon einmal gesehen, es war die attraktive Kellnerin aus ‚Kassandra‘s Kitchen‘. Doch heute war sie nicht das zuckersüße Frauchen wie damals, als Beth sie heimlich beobachtet hatte, sondern sie hatte die Haare streng zurückgebunden und ihr Blick strahlte eine Entschlossenheit aus, die Beth erschauern ließ. Keine Sekunde ließ sie Mantis aus den Augen.
Beth schaute ins Schlafzimmer hinein. Sie konnte niemanden sehen, lediglich Pistolenläufe. Einige Personen mussten im Garten hocken und auf der Terrasse lauern. Die Scheibe der Terrassentür war zerschlagen, Glasscherben lagen vor dem Ehebett.
Weil sie sich hilflos vorkam und die einzige Person ohne Waffe war, tastete sie unauffällig nach Kades 9-Millimeter.
Sie sah Mantis förmlich an, wie er grübelte, doch es gab keinen Ausweg für ihn. Unruhig wanderte sein Blick von dem weiblichen Special Agent über Bethany zum Schlafzimmer. Er spähte hinaus, runzelte die Stirn und rümpfte die Nase. Vergeblich bemühte er sich, weiterhin gefasst zu wirken, aber sein Kiefer war in ständiger Bewegung und seine Nasenflügel bebten.
Plötzlich erhellte sich sein Blick, als hätte er eine Entscheidung getroffen. Er hob seinen Arm und zielte mit seiner Browning auf Beth.
„Nein!“, schrie sie und hob die Springfield an, obwohl sie wusste, dass er schneller schießen würde als sie.
Doch dazu kam es nicht, denn im Schlafzimmer fiel ein Schuss. Mantis‘ Waffe flog im hohen Bogen fort. Jemand hatte sie ihm aus der Hand geschossen. Er schaute ihr überrascht hinterher und hielt sein Handgelenk umklammert.
Im nächsten Augenblick trat ein bulliger Farbiger, der ebenfalls eine FBI-Weste trug, vom Garten ins Schlafzimmer. Er hielt seine Handfeuerwaffe immer noch im Anschlag. Zu Beths Überraschung war es Vaughn McCormick, der angebliche Security-Mitarbeiter des Boston Sheraton Hotels.
Beth erinnerte sich, dass der Hotelmanager Zachary Bradcock zu ihm gesagt hatte: „Er ist Ihr Mann“ und damit Kade gemeint hatte. War Kade ebenfalls ein Special Agent?
Sie weinte nicht mehr, aber ihre Wangen waren noch immer feucht von ihren Tränen, weil sie den Mann verloren hatte, den sie liebte.
„Ich hasse dich!“, spie Bethany und zielte mit der Springfield auf Mantis.
McCormick richtete plötzlich seine Waffe auf Beth. „Nehmen Sie die Waffe runter, Miss Hart.“
„Ich denke gar nicht daran“, entgegnete sie schroff. Sie hätte von sich selbst niemals gedacht, dass sie so eiskalt sein konnte, aber sie wünschte ihrem Ziehvater den Tod. Er verdiente es nicht zu leben, weil er so viele Leben zerstört
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