Opfer
geschürzten Lippen. Noodles knurrte immer noch und zog sich mit gesträubtem Fell langsam in den Flur zurück, bis sein Hinterbein einen Lederschuh streifte. Noodles und Amanda sahen gleichzeitig auf. Der Hund jaulte und suchte die Sicherheit seines Körbchens in der Küche.
»Was ist denn hier los?«, sagte Eric milde, als er Edna die Hand auf die Schulter legte, über die hinweg er Amanda wütend anstarrte. »Wie geht’s dir, meine Kleine?« fragte er.
Einen Augenblick lang glaubte Amanda, er hätte sie gemeint.
»Opa!« Sammy hob den Kopf, lächelte tränenverschmiert und zeigte dabei den schiefen Schneidezahn, den sie einfach nicht richten lassen wollte.
»Sie hat eine lange Fahrt hinter sich, hast du doch, oder? Bist bestimmt müde«, sagte Edna.
»Das ist aber schade«, erwiderte Eric, »dabei wollte ich sie gerade fragen, ob sie nicht Lust hat, mit mir zur Arbeit zu kommen.«
»Ich glaub nicht, dass das …«, setzte Amanda an. Doch der Rest blieb ihr im Hals stecken.
»Darf ich echt, Opa?« Sammy strahlte, während die Blicke von Eric und Edna ihrer Tochter entgegenschlugen wie sibirische Winde.
»Klar«, bestärkte Eric. Er nahm Sammy bei der Hand und ein Lächeln zuckte ihm über die Lippen.
»Dad«, versuchte Amanda es noch einmal. Sie winkte kraftlos Wayne zu, der aber weiter eine Fuge zwischen den Bodenplatten fixierte. »Sie muss doch auspacken und was essen …«, erklärte sie Edna.
»Das kann sie doch alles später noch«, erwiderte Eric undgrinste breit. »Jetzt, wo sie hier ist, soll sie doch ihren Spaß haben, oder, Sammy?«
Sammy nickte und zog eine Siegergrimasse vor ihrer Mutter.
»Mach dir keine Gedanken«, fuhr Eric fort. »Die kriegt schon was zu essen.« Die Worte tropften ihm wie Säure von den Lippen. »Bei mir kommt sie schon auf ihre Kosten.«
*
»Debs!« Nachdem sie zweimal keine Antwort bekommen hatte, war Corrines Stimme nachdrücklicher geworden und hatte ihre Freundin aus dem Tagtraum gerissen. Die Musik in ihrem Kopf, die Platte, die Alex ihr von seinen Reisen mitgebracht hatte, eine Männerstimme, die in mysteriösem Bariton über Kristallkugeln und Tarot-Karten sang. »Hey, wie findste das?« Corrine hielt eine Seite der Smash Hits mit dem Foto einer Frau mit dickem Eyeliner und Dauerwelle hoch.
»Sieht geil aus, oder?«
Debbie verzog das Gesicht. Die Frau sah doch scheiße aus, ein Häschen aus der Bierwerbung, das einen auf düster machen wollte, aber immer noch eine Frisur wie eine von den Dooleys hatte.
»Ich lass mir meine auch so machen«, erklärte Corrine. »Gleich, wenn sie uns bezahlt haben.« Sie streckte die Hand nach dem Zehnerpack JPS auf dem Tisch zwischen ihnen aus.
Debbie verstand, was das bedeutete.
»Und was sagt deine Mum?«
Corrine riss ein Streichholz an.
»Egal«, erwiderte sie mit der Kippe im Mund. »Hab den ganzen Sommer lang gespart. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt – einmal zum Friseur und ein paar Schuhe, die jetzt schon total durch sind?«
»Natürlich nicht.« Jetzt hatte Debbie ein schlechtes Gewissen und war froh, dass sie das mit den Dooleys nicht laut gesagt hatte. Sie sah sich noch mal die Frau in der Zeitschrift an.
»Das neueste Disco-Sternchen aus NYC: Madonna …« Dann klopfte jemand ans Fenster. Draußen in der Victoria Arcade standen Darren Moorcock und Julian Dean und winkten.
»Boah«, sagte Corrine. »Die sehen ja ganz anders aus.«
Darren hatte sich die Haare schulterlang wachsen lassen und samtschwarz gefärbt. Julian, der sowieso schon schwarze Haut und Haare hatte, trug sie jetzt in einem kleinlockigen Pompadour, der mit Wet-look-Gel fixiert war. Beide hatten schwarze Hemden, Westen, hautenge Jeans und spitze Schuhe mit ganzen Reihen silberner Schnallen an.
Debbie grinste und winkte die beiden herein.
»Sehen echt abgefahren aus«, sagte sie, als die Türglocke rasselte. »Rück mal ’n Stück, Reenie.«
»Alles klar?« Darren setzte sich gleich neben Debbie. Vor gar nicht allzu langer Zeit war er noch so groß wie sie gewesen, doch jetzt hatte er plötzlich fast schon Alex eingeholt. Außerdem trug er schwarzen Eyeliner. Der stand ihm richtig gut.
Darren sah Debbie stolz an. »Hab gestern Abend im Pub Alex getroffen. Im Swing’s«, fügte er hinzu.
Debbie riss die Augen auf. Sie hatte sich mit Darren schon immer gut verstanden, weil sie beide die Mittagspause oft im Kunstraum verbrachten. Aber letztes Schuljahr war er noch ein kleiner Junge mit Piepsstimme und Sommersprossen gewesen.
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