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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Wenn jemand ihn mit seinem Nachnamen ansprach, kam es ihm so vor, als würde derjenige ihm den Kopf tätscheln und sagen: Ach, du Armer, es tut mir ja so leid, dass du für den Rest deines Lebens im Rollstuhl sitzen musst. Also bin ich jetzt mal ganz besonders zuvorkommend zu dir.
    Sachs begriff, was er mit dieser Richtigstellung bezweckte, und verdrehte leicht die Augen. Rhyme musste sich ein Lächeln verkneifen.
    »Gut, dann eben Lincoln.« Noble räusperte sich. »Kommen wir zur Sache. Was wissen Sie über das Netz – das Stromnetz?«
    »Nicht viel«, räumte Rhyme ein. Er hatte zwar ein wissenschaftliches Studium absolviert, sich aber nie sonderlich mit der Elektrizität beschäftigt. In der Physik jedenfalls zählte der Elektromagnetismus zu den vier grundlegenden Naturkräften – neben der Schwerkraft sowie den leichten und schweren Kernkräften. Doch das war eine rein akademische Frage. Im Alltag beschränkte Rhymes Interesse am Strom sich darauf, genug für den Laborbetrieb zur Verfügung zu haben. Die Geräte waren äußerst durstig, und Rhyme hatte schon zweimal neue Leitungen verlegen lassen müssen, um den Bedarf decken zu können.
    Darüber hinaus war Rhyme sich nur zu bewusst, dass er ohne
Elektrizität nicht überlebt hätte und auch sein jetziges Leben so nicht möglich gewesen wäre: Nach dem Unfall hatte ein Beatmungsgerät seine Lunge mit Sauerstoff versorgt, und in seinem Alltag benutzte er einen batteriebetriebenen Rollstuhl, ein Haustechniksystem mit Spracherkennung und ein Touchpad. Und natürlich die Computer.
    Ohne Strom hätte er eine armselige Existenz führen müssen. Falls überhaupt.
    »Unser Szenario sieht bisher so aus«, fuhr Noble fort. »Der Täter ist in ein Umspannwerk eingedrungen und hat ein Kabel bis vor das Gebäude verlegt.«
    »Ein Täter? Singular?«, fragte Rhyme.
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Ein Kabel nach draußen. Okay.«
    »Dann hat er den Computer manipuliert, der das Netz steuert. Er hat die Einstellungen geändert und das Umspannwerk bis weit über die zulässige Grenze belastet.« Noble spielte an seinen Manschettenknöpfen herum. Sie waren wie kleine Tiere geformt.
    »Und der Strom ist übergesprungen«, warf McDaniel vom FBI ein. »Im Grunde genommen hat er den Weg in den Boden gesucht. So etwas heißt Lichtbogen. Eine Explosion. Wie ein Blitz.«
    Eine zweieinhalbtausend Grad heiße Entladung …
    »Das Ding ist so mächtig, dass Plasma entsteht«, fügte der ASAC hinzu. »So nennt man einen Aggregatzustand…«
    »… der weder gasförmig noch flüssig oder fest ist«, fiel Rhyme ihm ungeduldig ins Wort.
    »Genau. Ein kleiner Lichtbogen hat die Sprengkraft eines Pfunds TNT, und der hier war nicht klein.«
    »Und der Bus war sein Ziel?«, fragte Rhyme.
    »Scheint so.«
    »Aber die Reifen sind doch aus Gummi«, wandte Sellitto ein.
»Bei einem Gewitter ist man in einem Fahrzeug am sichersten. Das hab ich mal im Fernsehen gesehen.«
    »Stimmt«, bestätigte McDaniel. »Doch der Täter hatte daran gedacht. Es war ein Niederflurbus. Entweder hat er damit gerechnet, dass die abgesenkte Stufe den Bürgersteig berühren würde, oder er hat gehofft, jemand würde mit einem Fuß auf dem Gehweg und mit dem anderen im Bus stehen. Das hätte ausgereicht, um dem Lichtbogen einen Angriffspunkt zu bieten. «
    Noble befingerte erneut das kleine silberne Säugetier an seiner Manschette. »Zum Glück stimmte das Timing nicht. Oder er hat falsch gezielt oder so. Die Entladung hat das Haltestellenschild neben dem Bus getroffen. Ein Fahrgast wurde getötet, ein paar andere haben Hörschäden erlitten oder wurden von Glassplittern leicht verletzt. Und es brach ein Feuer aus. Falls er den Bus voll erwischt hätte, wäre mindestens die Hälfte der Leute ums Leben gekommen, schätze ich. Oder hätte Verbrennungen dritten Grades davongetragen.«
    »Lon hat einen Stromausfall erwähnt«, sagte Rhyme.
    »Der Täter hat den Computer dazu benutzt, vier andere Umspannwerke der Gegend abzuschalten, sodass die gesamte Last durch die Station an der Siebenundfünfzigsten Straße geflossen ist«, erklärte McDaniel. »Als der Lichtbogen auftrat, ist das Umspannwerk vom Netz gegangen. Mittlerweile konnte Algonquin die anderen jedoch wieder in Betrieb nehmen, und im Augenblick sind in Clinton noch etwa sechs Blocks ohne Strom. Haben Sie es denn nicht in den Nachrichten gesehen?«
    »Die schaue ich nur selten«, sagte Rhyme.
    »Ist dem Busfahrer oder sonst jemandem etwas aufgefallen?«, wandte

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