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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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meine ich nicht. Du siehst nicht gut aus.«
    »Du hast recht. Ich brauche dringend Medizin.«
    »Medizin?«
    »Whisky. Mit einem Schluck Whisky würde es mir besser gehen. «
    »Nein, würde es nicht.«
    »Nun, wie wäre es mit einem Experiment? Wissenschaftlich. Kartesianisch. Rational. Dagegen lässt sich doch nichts einwenden. Ich weiß, wie ich mich jetzt fühle. Nachdem ich etwas Whisky getrunken habe, erstatte ich dir über etwaige Veränderungen Bericht.«
    »Nein. Es ist zu früh«, stellte Thom sachlich fest.
    »Es ist Nachmittag.«
    »Seit ein paar Minuten.«
    »Ach, verdammt.« Rhyme klang barsch wie so oft, aber in Wahrheit genoss er Sachs’ Massage. Einige Strähnen ihres roten Haares hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und kitzelten Rhymes Wange. Er ließ es geschehen. Da er den Kampf um den Single Malt anscheinend verloren hatte, ignorierte er
Thom, aber mit nur einem Satz verschaffte der Betreuer sich sogleich wieder seine Aufmerksamkeit: »Während ihr telefoniert habt, hat Lon angerufen.«
    »Aha. Und warum erfahre ich das erst jetzt?«
    »Du hast gesagt, du willst nicht gestört werden, wenn du mit Kathryn redest.«
    »Nun, dann raus mit der Sprache.«
    »Er meldet sich noch mal. Es geht um einen Fall. Ein Problem. «
    »Tatsächlich?« Der Uhrmacher trat angesichts dieser Neuigkeit ein wenig in den Hintergrund. Rhyme erkannte, dass es für seine schlechte Laune noch einen anderen Grund gab: Langeweile. Er hatte vor Kurzem die Untersuchung der Spuren in einem komplizierten Fall abgeschlossen und befürchtete mehrere Wochen Müßiggang. Der Gedanke an einen neuen Auftrag war belebend. So wie Sachs sich nach Geschwindigkeit sehnte, brauchte Rhyme Schwierigkeiten, Herausforderungen, Input. Eine schwere körperliche Behinderung geht mit einem Nachteil einher, der vielen Leuten gar nicht bewusst ist: Es passiert nichts Neues mehr. Dieselbe Umgebung, dieselben Menschen, dieselben Aktivitäten … und die immer gleichen Plattitüden, leeren Versprechungen und Berichte aus den Mündern teilnahmsloser Ärzte.
    Was Rhyme nach seiner Verletzung das Leben gerettet hatte – und zwar buchstäblich, denn er hatte ernsthaft über Sterbehilfe nachgedacht –, waren die vorsichtigen Schritte zurück zu seiner früheren Leidenschaft gewesen: die Anwendung wissenschaftlicher Methoden zur Aufklärung von Verbrechen.
    Dank immer neuer Rätsel wurde es einem nie langweilig.
    »Fühlst du dich der Sache auch wirklich gewachsen?«, hakte Thom nach. »Du siehst etwas blass aus.«
    »Weißt du, ich war länger nicht mehr am Strand.«
    »Na gut. Ich wollte mich nur vergewissern. Ach, und Arlen Kopeski kommt nachher vorbei. Wann passt es dir am besten?«

    Der Name klang vertraut, hinterließ aber einen irgendwie unangenehmen Nachgeschmack. »Wer?«
    »Er gehört zu dieser Gruppe für mehr Behindertenrechte. Es geht um den Preis, der dir verliehen werden soll.«
    »Heute?« Rhyme erinnerte sich vage an mehrere Telefonate. Sobald es keinen seiner Fälle betraf, schenkte er dem Geschehen um ihn herum kaum Aufmerksamkeit.
    »Du warst mit dem Termin einverstanden. Du hast gesagt, du würdest dich mit Kopeski treffen.«
    »Oh, ein Preis hat mir gerade noch gefehlt. Was soll ich damit anfangen? Ihn als Briefbeschwerer benutzen? Benutzt irgendjemand, den du kennst, jemals einen Briefbeschwerer? Hast du jemals einen Briefbeschwerer benutzt?«
    »Lincoln, der Preis wird dir verliehen, weil du vielen jungen Behinderten ein Vorbild bist.«
    »Als ich jung war, hatte ich auch keine Vorbilder. Und es ist trotzdem was aus mir geworden.« Das mit den Vorbildern stimmte nicht ganz, aber bei Ablenkungen wurde Rhyme nun mal kleinlich, vor allem wenn ungebetene Besucher damit verbunden waren.
    »Eine halbe Stunde.«
    »Ich habe keine halbe Stunde.«
    »Zu spät. Er ist bereits in der Stadt.«
    Manchmal war es unmöglich, gegen den Betreuer zu gewinnen.
    »Wir werden sehen.«
    »Kopeski wird nicht herkommen und sich dann ewig in Geduld fassen, als wäre er ein Höfling, der auf eine Audienz beim König hofft.«
    Die Metapher gefiel Rhyme.
    Doch dann waren alle Gedanken an Preisverleihungen und Königswürden vergessen, denn Rhymes Telefon klingelte, und als Kennung des Anrufers wurde Detective Lieutenant Lon Sellittos Nummer angezeigt.

    Mit einem Finger seiner rechten Hand erteilte Rhyme dem Computer den Befehl zum Abheben. »Lon.«
    »Linc, hör zu, Folgendes.« Er klang gehetzt, und nach den Umgebungsgeräuschen zu schließen, die aus

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