Opfertod
Zeitpunkt bereits gut zwölf Stunden tot, was wiederum für die Annahme sprechen würde, dass ihr Mörder sie am Donnerstag nach ihrer letzten Vorlesung an der Uni abgepasst hat …«
Versunken nickte Lena. »Sonst noch was?«, fragte sie, überrascht über ihre eigene Lautstärke. Alle Blicke waren nun auf sie gerichtet.
Drescher nickte. »Beim Überprüfen von Nowaks Laptop hat sich herausgestellt, dass sie des Öfteren in Foren unterwegs war, in denen sich Okkultisten über schwarze Rituale und all solchen Hokuspokus austauschen«, berichtete er, während ihm die Anwesenden gebannt lauschten. »Den Chat-Protokollen nach war sie am frühen Donnerstagabend, also etwa zum Zeitpunkt ihres Verschwindens, mit einem gewissen ›Dark Armon‹ in einer Bar in der Görlitzer Straße verabredet gewesen.«
Wieder wurde Getuschel laut.
»Wissen wir schon, wer hinter dem Chat-Namen steckt?«, ergriff Lena erneut das Wort.
Drescher nickte. »Sein richtiger Name lautet Ferdinand Roggendorf. Medizinstudent, neunundzwanzig Jahre, keine Vorstrafen.«
»Sagen Sie jetzt bitte nicht, der ist mit diesem Charlottenburger Staranwalt verwandt«, stöhnte Lenas rothaariger Sitznachbar, dessen durchtrainierter Oberkörper sich unter seinem engen Poloshirt abzeichnete. Drescher verzog keine Miene. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Vogt.« Er räusperte sich streng, ehe er fortfuhr. »Ferdinand Roggendorf ist der Sprössling von Richard Roggendorf.«
»Na, das kann ja heiter werden …«, seufzte Vogt.
Lena vernahm ein leises Aufstöhnen rechts und links von sich und blickte ihre Kollegen an. Die meisten im Konferenzraum schienen Vogts Meinung zu teilen, denn der Unmut darüber, mit wem sie es zu tun hatten, stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben.
»Zeugenaussagen nach ist Nowak in dieser Bar in der Görlitzer Straße wohl nie aufgetaucht«, erklärte Drescher weiter. »Ob Ferdinand Roggendorf zum besagten Zeitpunkt dort war, wird sich noch herausstellen, die Befragungen laufen noch. Bisher haben wir über ihn lediglich in Erfahrung bringen können, dass er neben seinem Studium als Pfleger im Virchow-Krankenhaus jobbt« – Drescher schürzte die Lippen –, »was nicht uninteressant ist, da in Yvonne Nowaks Blutbahn nach ersten Angaben der Gerichtsmedizin Spuren von Flunitrazepam nachgewiesen worden sind.«
»K.-o.-Tropfen«, dachte Lena laut. »Roggendorf hätte als Krankenpfleger leicht Zugang dazu.«
»So ist es«, meinte Drescher. »Wir lassen den Burschen auf alle Fälle observieren.«
Nachdenklich nickte Lena. Wenn dieser Medizinstudent tatsächlich im Chatroom nach potentiellen Opfern Ausschau hält, um sie bei einem möglichen Treffen mit Hilfe von K.-o.-Tropfen in seine Gewalt zu bringen, gilt es, schleunigst herauszufinden, ob er mit den übrigen Frauen ebenfalls gechattet hat.
»Wenn sein Alter Wind davon bekommt, hagelt es eine Klage nach der anderen«, befürchtete der Rotschopf neben Lena. »Wundert mich sowieso, dass dieser Ferdinand Roggendorf zusätzlich als Pfleger schuftet – ich meine, bei dem Honorar, das sein Alter kassiert, hätte der das doch gar nicht nötig.«
»Vielleicht ist Richard Roggendorf ja geizig und will, dass der Sohnemann auf eigenen Füßen steht«, meldete sich die Brünette mit Lockenmähne zu Wort, die schräg gegenüber von Lena saß. Das muss Rebecca Brandt sein , dachte Lena. Drescher hatte ihr bereits von Brandt erzählt und sie als unverzichtbares Teammitglied hervorgehoben. Mit ihrem pinkfarbenen Top, dem tiefen Ausschnitt und den falschen Fingernägeln wirkte sie auf Lena mehr wie eine verdeckte Ermittlerin von der Sitte.
»Ach so, bevor ich es vergesse: Roggendorf geht jeden Donnerstagabend gegen neunzehn Uhr zum Boxen«, sagte Drescher noch. »Der Club heißt ›Stahlfaust‹. Wer von euch schaut sich da mal um?«
Der Rotschopf hob die Hand und meldete sich freiwillig. »Das übernehme ich. Ich kenne den Club – da lungern ziemlich üble Typen rum.«
»Sehr gut«, sagte Drescher, als die Tür von außen aufgestoßen wurde und eine mollige Frau eintrat.
»Das hier ist soeben aus der Pathologie eingetroffen.« Sie nahm zwei Farbabzüge aus einem Kuvert und legte sie vor Drescher auf den Konferenztisch.
»Danke, Lucy.«
Noch ehe die Frau wieder verschwunden war, heftete Drescher die Abzüge unter das Bild von Yvonne Nowak. Es handelte sich dabei um Großaufnahmen der Unterschenkel, von denen der Studentin die Füße abgetrennt worden waren.
»Was fällt
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