Opfertod
verschrobene alte Kuh, und die meisten von uns waren froh, als die endlich weg war.«
Lena sah Rebecca Brandt an, dass mehr dahintersteckte, entschied aber, nicht weiter nachzufragen.
»Kriegst du diese ganze kranke Scheiße eigentlich jemals aus deinem Kopf?«, wechselte Rebecca Brandt das Thema. »Der Drescher hat erzählt, du hättest mehr Zeit in Hochsicherheitstrakten psychiatrischer Anstalten verbracht, um dich mit der Psyche von Serientätern auseinanderzusetzen, als manch ein Polizeischüler auf der Akademie war.«
Lena lächelte. »Weiß auch nicht«, sagte sie und starrte durch die Windschutzscheibe. »Ich schätze, die Abgründe der menschlichen Seele üben eine gewisse Faszination auf mich aus.«
Ein ungläubiges Kopfschütteln. »Mir macht der Fall ja schon zu schaffen, aber wenigstens gehe ich als Ermittlerin ganz klar anhand von Indizien vor.« Schweigend nickte Lena, und den Rest der Fahrt hörte sie nur noch mit einem Ohr zu. Im Kopf stellte sie bereits den Fragenkatalog zusammen, den sie gleich abarbeiten würde. Keine gewöhnlichen Fragen, wie man sie aus Lehrbüchern kannte. Lena hatte ihre ganz eigene Strategie.
6
Als sich die gläsernen Schiebetüren im Eingangsbereich des Franziskus-Krankenhauses öffneten, wurde Lena mulmig zumute. Sie hasste Krankenhäuser. Und während sie Rebecca Brandt schweigend über den langen Korridor folgte, in dem es nach Desinfektionsmittel roch, wusste sie nicht, was ihr mehr auf den Magen schlug: die bevorstehende Befragung oder die Bilder von damals, die die Schilder Intensivstation und Notaufnahme Brandverletzungen im Vorbeigehen in ihr wachriefen. Obwohl Lena sich innerlich dagegen zu wappnen versucht hatte, kamen die Erinnerungen wie ein unkontrollierbarer Brechreiz in ihr hoch. Erst recht, als im nächsten Moment eine Tür aufgestoßen wurde und mehrere Pfleger ein blutüberströmtes junges Mädchen im Eiltempo an ihnen vorbeischoben. Lena spürte, wie sich ihr bei dem Anblick regelrecht die Kehle zuschnürte. Dennoch konnte sie sich dem Anblick des Mädchens nicht entziehen und sah ihm versunken nach. Binnen Bruchteilen von Sekunden schossen ihr die Erinnerungsfetzen wie Blitze durch den Kopf. Sie senkte den Blick auf ihre Hände und hatte plötzlich wieder das Blut von dem Autounfall damals vor Augen. Wie so oft zwang Lena sich, dem alten Impuls, ins Badezimmer zu hasten, um sich ausgiebig die Hände zu waschen, zu widerstehen.
Im Aufzug spürte sie, wie sich alles in ihr verkrampft hatte, und noch als Brandt sie beide auf der Station anmeldete, hoffte sie, dass man ihr das Unwohlsein nicht ansah.
»Guten Tag, Brandt mein Name, Mordkommission.« Rebecca Brandt stand breitbeinig in der Tür zum Stationszimmer, zückte ihren Ausweis und deutete mit einem Kopfnicken auf Lena. »Meine Kollegin Lena Peters, sie betreut den Fall als psychologische Beraterin. Wir würden uns gerne mit Frau Wagenbach unterhalten.«
»Von der Polizei …«, wiederholte eine korpulente Stationsschwester älteren Semesters, die gerade dabei war, mit zwei Pflegerinnen die Schichtpläne durchzugehen. Sie kam mit argwöhnischer Miene auf sie zu. »Ich denke nicht, dass Frau Wagenbach schon bereit ist, verhört zu werden.«
»Darüber bin ich mir im Klaren, Frau …« – Brandts flüchtiger Blick streifte das Namensschild der Schwester – »… Plötz. Aber wir ermitteln in einer Mordserie und …« – »Der Zustand der Patientin ist äußerst instabil«, verkündete die hagere Ärztin, die soeben das Stationszimmer betreten hatte. »Frau Wagenbach braucht absolute Ruhe – und wenn Ihnen die Aussage der Patientin so ungeheuer wichtig ist, dann werden Sie sich wohl bis morgen gedulden können.«
»Frau Wagenbach ist unsere einzige Zeugin«, schaltete sich Lena ein und wandte sich mit einem vertrauensvollen Lächeln an die Ärztin. »Wir sind uns unserer Verantwortung durchaus bewusst, aber morgen könnte es für das nächste Opfer schon zu spät sein.«
Die Ärztin tauschte einen Blick mit der Stationsschwester. »Na schön, kommen Sie mit«, seufzte sie schließlich und bedeutete der Schwester, Lena und Brandt zu Christine Wagenbach zu führen.
»Ihr Zimmer ist gleich dort hinten«, erklärte die Schwester und ging voran. Lena folgte ihr mit Rebecca Brandt über den Korridor.
»Die Patientin ist erst vor kurzem aus der Narkose erwacht. Wir mussten ihr ein ziemlich starkes Schmerzmittel spritzen. Ich nehme an, sie steht noch immer etwas neben sich.«
»Sind das Frau
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