Optimum - Kalte Spuren
Schleier wahrnehmen.
»Spinnst du? Sag mal, siehst du nicht, was hier …«
Torben beugte sich nach vorn und legte Rica die Finger einer Hand um den Hals. »Ich lasse mich von niemandem an der Nase herumführen«, murmelte er direkt in Ricas Ohr.
Normalerweise wäre es kein Problem gewesen, ihn abzuschütteln. Normalerweise hätte Rica sich aber auch nicht durch einen Lynchmob gekämpft, sich einem Schneesturm und einem angeblichen Psychopathen gestellt und die schlimmsten Ängste ihres Lebens ausgestanden. Rica versuchte, Torbens Hand wegzuschieben, aber ihre Finger kratzten nur schwach an seiner Haut, dann fielen sie schlaff herunter. Die Hand auf ihrer Kehle war schwer, so schwer. Sie schien aus Blei gemacht zu sein. Eine massive Bleiklammer, die Rica die Luft abdrückte. Rica versuchte verzweifelt, Atem zu holen, doch nur ein winziger dünner Luftstrom schaffte es in ihre Kehle. Er reichte lange nicht aus. Ihr Hals schmerzte fürchterlich, sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Von irgendwoher hörte Rica Stimmen. Männer, Frauen, sie war sich nicht ganz sicher. Das Geräusch schien aus weiter Ferne zu kommen und sie nichts anzugehen.
Sie versuchte, sich zur Seite zu drehen, irgendwie dem Griff zu entkommen, aber ihr Körper wollte ihr einfach nicht mehr gehorchen. Gleichzeitig schien es um sie herum dunkler zu werden. Sie blinzelte, doch die Helligkeit kehrte nicht zurück. Neben ihr kämpften Leute, so wie es sich anhörte, aber Torben ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Immer schwerer lastete seine Hand auf ihrer Kehle, bis sie schließlich überhaupt nichts anderes mehr wahrnehmen konnte als seine stählernen Finger.
Rica wollte nur noch schlafen. Sie schloss die Augen und bemühte sich, an etwas Schönes zu denken.
Ein Aufschrei drang durch die dicke Watte, die ihre Gedanken zu umgeben schien, und gleich darauf strömte frische Luft in ihre Lungen. Sie wirkte wie ein Lebenselixier. Auf einmal war Rica hellwach, und mit ihrem Körper schien auch ihr Kampfgeist wieder erwacht zu sein.
Nicht mit mir! Sie schlug um sich, traf etwas Weiches, von dem sie sich nicht sicher war, ob es sich um Torben handelte, doch sie dachte nicht mehr darüber nach, sondern prügelte einfach drauflos. Sie wollte hier raus, und das so schnell wie möglich.
»Rica! Aufhören!« Eine Hand schloss sich wie ein Schraubstock um ihren Arm. Rica versuchte, sich loszureißen, versuchte, mit der freien Hand nach demjenigen zu schlagen, der sie gefangen hatte. Doch ihre Schulter und ihr ganzer Arm schmerzten noch zu stark von dem Schlag, den sie abbekommen hatte. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie konnte gerade noch einen Schmerzensschrei unterdrücken.
»Rica, nicht!«
Rica rollte sich zur Seite und versuchte, auf die Füße zu kommen.
»Ricarda Eloise Lentz, hör auf!«
Seltsamerweise waren es diese Worte, der Gebrauch ihres vollständigen Namens, die Rica wieder in die Gegenwart zurückholten. Fast, als handele es sich um einen Code, der sie von einer Kampfmaschine wieder zurück in einen Menschen verwandelte. Sie hörte auf, um sich zu schlagen, und ihr Blick klärte sich ein wenig.
Ihr Vater kauerte neben ihr, seine Hand fest um ihren Oberarm geschlossen, aber sonst ganz ruhig. »Du musst nicht mehr kämpfen«, sagte er sanft.
Ricas Gefühle schlugen Purzelbäume. Sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Genauso gern hätte sie ihm eine runtergehauen.
»Was machst du hier?«, begann sie, nur um gleich darauf die Frage zu wechseln. »Warum hast du Ma und mich allein gelassen?«
Er seufzte und ließ endlich ihren Arm los. Rica rieb sich die schmerzende Stelle, wandte aber ihren Blick nicht von ihm ab.
»Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu besprechen«, meinte er. »Später, ja?«
»Wie viel später? Noch mal fünfzehn Jahre?«
»Einfach später.« Ihr Vater machte eine vage Handbewegung, die Ricas Aufmerksamkeit auf das Zimmer lenken sollte. Sie sah sich um. Während ihrer kurzen Bewusstlosigkeit – war es Bewusstlosigkeit gewesen? –, war im Zimmer das Chaos ausgebrochen. Patrick lag am Boden, Eliza stand über ihm und hatte die Pistole auf ihn gerichtet. Sie sah dabei nicht halb so unsicher aus wie Rica. Als hätte sie jeden Tag eine Waffe in der Hand. Ein Stück neben Rica rappelte sich gerade Torben wieder vom Boden auf. Er wirkte verwirrt und ein wenig peinlich berührt. Ein bisschen, als sei er gerade aus einer Trance erwacht. Und von draußen wurde heftig gegen den
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