Optimum - Kalte Spuren
lange dauert es wohl, bis jemand erfroren ist?«, wollte Sarah hinter ihr in ironischem Tonfall wissen. »Ich habe mal gelesen, das kann sehr schnell gehen.«
»Aber es ist ein sanfter Tod, tröste dich«, fiel jetzt Vanessa ein. »Es soll sich anfühlen, als ob man einschläft. Man wird einfach immer müder.«
Ein paar Schüler lachten, aber es klang nicht besonders fröhlich. Eher irritiert und ein wenig hysterisch. Wenn ich sie irgendwie auf meine Seite bringen könnte.
Noch vor ein paar Tagen hätte Eliza sich das zugetraut. Sie wusste schließlich, dass sie Leute manipulieren konnte. Zwar hatte sie es noch nie bei so vielen versucht, aber sie hätte es sich vielleicht zugetraut – wenn nicht Jasmin gewesen wäre. Nachdem Eliza mitbekommen hatte, wie das jüngere Mädchen einen ganzen Raum voller Schüler zum Streit angestachelt hatte, war sie sich ihrer eigenen Fähigkeiten überhaupt nicht mehr so sicher.
Jasmin.
Elizas Herz klopfte auf einmal schneller. Sie hatte vorhin die Angst gespürt, die wie eine dicke Wolkendecke über den Schülern lag, aber sie hatte keine Rückschlüsse daraus gezogen. Jetzt kam ihr die panikerfüllte Stimmung unter den Schülern doch ein wenig seltsam vor. Warum sollten sie alle Angst haben. Oder eher: Warum sollten sie alle glauben, dass Rica und Nathan hinter den »Streichen« steckten, wenn es dafür doch gar keinen Anhaltspunkt gab?
Irgendjemand muss sie davon überzeugt haben.
Langsam drehte sie sich um, als könne sie Nathans Anblick nicht länger ertragen.
»Na, genug davon, deinen Lover anzugucken?«
Eliza fragte sich, warum sie Sarah jemals nett gefunden hatte.
Mein Lover. Die Worte hallten in ihrem Kopf nach, aber Eliza versuchte, sich nicht von ihnen beeindrucken zu lassen. Sie ließ den Blick durch den Raum wandern und suchte Jasmin. Das kleine Mädchen war nirgendwo zu sehen. Robin und Saskia saßen immer noch auf ihre Stühle gefesselt vor dem Kamin, einige andere Schüler versuchten eher zögerlich, etwas zu Abend zu essen, viele hatten sich offensichtlich einfach auf ihre Zimmer verzogen. Ihnen wird es auch zu viel. Aber sie trauen sich nicht, etwas zu sagen.
Eliza entdeckte Simon, der vor Robin auf dem Boden kauerte und leise auf ihn einredete. Inzwischen hatte sie mitbekommen, dass Simon Robins kleiner Bruder war, aber ein richtiges Bild ergab sich daraus für sie auch nicht. Hatte Simon durch seine Freundin irgendetwas eingefädelt? Aber warum? Was hatte Rica ihm getan?
In diesem Moment blickte Simon auf, und in seinen Augen las Eliza blanken Hass, gemischt mit einer guten Portion Angst. Doch sofort hatte Simon sich wieder im Griff und drehte sich zu Robin um, aber Eliza hatte gesehen, was es zu sehen gab.
Simon hängt irgendwie mit drin.
»Ich würde mich beeilen«, murmelte Torben direkt neben Elizas Ohr. Sie fuhr zusammen, als sie seinen warmen Atem im Gesicht spürte. »Dein Freund macht es nicht mehr lange.«
Ich muss etwas tun.
»Okay«, sagte sie laut. »Ich bringe euch hin.« Sie hatte ein schlechtes Gewissen bei den Worten. Aber sie hoffte einfach, dass ihr auf dem Weg eine Lösung einfallen würde. Irgendeine.
* * *
Ihre Tränen versiegten rasch. Rica wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und zwang sich, ruhiger zu atmen.
Allmählich wurde es besser. Sie saß ganz ruhig und horchte auf den Mann im Hauptraum. Vielleicht ergab sich ja doch eine Gelegenheit zur Flucht. Sie konnte seine Schritte hören, dann Klappern von Geschirr. Es klang so, als koche er sich Kaffee. Schließlich kehrte er offensichtlich zu seinen Computern zurück und begann, auf der Tastatur herumzuklappern.
Zeit verging. Der Mann rührte sich offensichtlich nicht von seinem Platz. Was schrieb er da nur die ganze Zeit? Erstattete er Bericht über Ricas Eindringen? Heckte er den nächsten Plan aus, die Schüler in der Skihütte in Panik zu versetzen? Nicht dass da noch viel mehr nötig gewesen wäre. Das Zimmer war ansonsten vollkommen still. Wenn das so weiterging, hatte Rica keine Chance, das Bad zu verlassen. Immerhin kann er mich nicht auf ewig hier drin gefangen halten, dachte sie. Und wenn er mich hier rausholt, habe ich vielleicht eine Chance. Wenn ich ihn überrumpeln kann …
Ein lautes Klopfen schreckte sie auf. Das Tastaturklappern hielt inne, und einen Augenblick lang war die Stille vollkommen. Rica hatte den Eindruck, dass der »Psychopath« mindestens genauso überrascht war wie sie selbst. Immerhin konnte er hier nicht viel Besuch erwarten.
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